„Puppet“ von Douglas Lee

„Puppet“ von Douglas Lee

Puppenspiele

Das Prager Nationalballett mit Uraufführungen von Douglas Lee und Alejandro Cerrudo

Der Ballettabend „Phönix“ sollte eigentlich live über die Bühne gehen, mit drei Stücken. Dem kam der Lockdown dazwischen. Die zwei schon abgeschlossenen Stücke waren nun als Stream zu sehen – das dritte folgt hoffentlich bald.

Prag, 02/04/2021

Wann sich das Prager Nationalballett wie „Phönix“ aus der Asche hebt, wissen nicht mal die Götter, geschweige denn der Direktor. Ursprünglich hat Filip Barankiewicz den dreiteilige Abend unter diesem viel versprechenden Titel für vergangenen November angekündigt; zwei der angekündigten Choreografien waren ja auch längst erarbeitet. Doch bevor es zur Premiere kam, war wieder einmal der Lockdown da. Was tun, bevor die Stücke, aber auch die Tänzer und Tänzerinnen ganz in Vergessenheit geraten? Das, was derzeit alle bis zur Erschöpfung tun: sie aufzuführen und zu streamen – und zwar umsonst, wenn auch nicht draußen.

Ein Ballett vor entseelten Rängen aufzuführen, hat schon etwas Gespenstisches. Insofern passt ein Projekt wie „Puppet“ ganz gut, das man sich gut während einer Geisterstunde vorstellen kann, wenn alles scheinbar Tote kurzfristig zum Leben erwacht. Douglas Lee hat schon immer gern die Puppen tanzen lassen, und hier treibt er seine Kunst, die von jeher etwas Künstliches hatte, von Anfang an auf die Spitze. Starr liegt eine Tänzerin in einer Schachtel, außer ihrem Oberkörper sind nur ihre Beine zu sehen: ein Umstand, aus dem ein auftauchender Tänzer insofern Kapital schlägt, als er das Objekt seiner Begierde ganz nach Belieben manipulieren kann. Dass es zwei Körper sind, die unabhängig voneinander agieren, merkt man erst später.

Weit davon entfernt, einen Essay „Über das Marionettentheater“ zu wagen, lässt Lee auch nicht ansatzweise an „Coppélia“ denken; da ist schon die perkussive Musik von Nicolas Sáava und David Skidmore vor. Er gefällt sich eher in der Rolle eines Pygmalion, der sich in die Feinmotorik seiner Kunstgeschöpfe verguckt. Mit unbewegter Miene, dabei die imaginären Zuschauer*innen fest im Blick, gleichen die neun Akteur*innen manchmal Automaten, die sich nach einem vorgegebenen Algorithmus auf einer wandelbaren Bühne bewegen. Dabei haben die virtuosen Gliederverrenkungen bisweilen etwas Unheimliches, gelegentlich bei aller Kälte indes etwas Anheimelndes, wenn am Ende die durchweg eindrucksvollen Tänzer und Tänzerinnen des Nationaltheaters an die Drück-Puppen unserer Kindheit erinnern.

„Dos Soles Solos“ nennt Alejandro Cerrudo seinen Beitrag, dem er einzelne Sätze aus dem „Orange“ betitelten Streichquartett von Caroline Shaw unterlegt: wie „Puppet“ kein großes, aber auch nicht mißlungenes Stück. Schwer zu sagen, was der Spanier damit sagen will. Von „Nebensonnen“, die wir aus Schuberts „Winterreise“ kennen, ist jedenfalls nicht die Rede. Auch nicht von anderen Halo-Erscheinungen, selbst wenn Daniel Tesař zwischendurch ganze Lichtbatterien herauf- oder herunterfährt. Bei seiner Kreation handelt es sich eher um choreografische Miniaturen, die niemanden wirklich herausheben aus dem sechsköpfigen Ensemble – ein gleichmacherischer Eindruck, der sich bei vielen ge-streamten Aufführungen beobachten lässt. Einfallsreich sind sie alle und gleich in mehrfacher Hinsicht berührend und bewegend, sobald sich zwei finden. So wie am Schluss. Da umarmen sich Ayaka Fujii und Jonáš Dolnik nicht einfach. Kopf an Kopf gelehnt, lassen beide eine Nähe spüren, die man in diesen Tagen so schmerzlich entbehrt. Und während das Attaca Quartet zum letzten Pizzicato in die Saiten greift, sinken die beiden langsam nieder, als wollten sie niemals voneinander lassen.

Wer dächte da nicht an „Tristan und Isolde“? Mit Wagners „Handlung“ will sich denn auch Cayetano Soto im Hauptwerk des Abends beschäftigen. Man kann nur hoffen: in nicht allzu fernen Tagen. Um die Wartezeit auf „Phönix“ zu verkürzen, könnte man die ‚Zwischenergebnisse‛ ja immer mal wieder als Video-on-demand zur Verfügung stellen.

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