„In C“  von Sasha Waltz & Guests
„In C“ von Sasha Waltz & Guests

Individualgruppierungen im Uhrwerk

Sasha Waltz & Guests rücken mit „In C“ die Tänzer*innen ins Bild

Sasha Waltz hat gemeinsam mit ihren Tänzerinnen und Tänzern Terry Rileys Komposition „In C“ (1964) aufgegriffen und im radialsystem Berlin in ebenso minimalistische Bilder umgesetzt und dann ins weltweite Netz gestreamt.

Berlin, 07/03/2021

Was mit vereinzelten Zuckungen der Schultern beginnt, entwickelt sich, vorantastend, angetrieben vom klaren Rhythmus der Musik, zu mutiger werdenden raumgreifenden Bewegungen und damit zu einem Austesten von Anordnungen innerhalb des Raumes. Sasha Waltz hat gemeinsam mit ihren Tänzerinnen und Tänzern Terry Rileys Komposition „In C“ (1964), einem Klassiker der Minimalistik, aufgegriffen und im radialsystem Berlin in ebenso minimalistische Bilder umgesetzt. Die Arbeit, die die Kamera dabei leistet, verschafft der filmischen Arbeit eine fast dokumentarische Anwandlung.

Innerhalb einer synchronen Grundstruktur schlichter Bewegungen sind die Tänzerinnen und Tänzer als Gemeinschaft vereint, wobei es gerade diese Sicherheit der Gemeinschaft ist, die ein individuelles Hervorbrechen und Herausdrängen des Körpers erlaubt. Es ist wie ein tadellos funktionierendes Uhrwerk, innerhalb dessen man sich kleine Experimente erlauben kann, aber eben immer alles innerhalb des Rahmens. Freundlich unverbindlich.

Die farblich variierenden einfarbigen Kostüme grenzt die Tänzer*innen diskret voneinander ab, lässt sie Individuen sein. Gleichzeitig ähneln sich die Schnitte der Kostüme stark. Das Design zeigt ein einheitliches Konzept. Das ist sauber, klar und unmissverständlich. Gemeinsam, als Gruppe, funktionieren die Tänzerinnen und Tänzer also auch. Das Kaleidoskop der Farben mag ein simples Bild sein, hier aber absolut passend. Dieser Eindruck wird verstärkt, wenn die Tänzer*innen wiederholt von weit oben aus der Draufsicht aufgenommen werden, wie kleine bewegliche Punkte, Mosaiksteine, die das Bild zusammensetzen, um es im nächsten Moment neu zu gestalten. Das wirft eine Frage auf: Tanzen sie für die Kamera? Vielleicht.

Diese repetitiven Muster in den Bewegungen, die die minimalistische Komposition Rileys fast zwangsläufig vorgibt, bieten den Tänzerinnen und Tänzern Sicherheit und Orientierung. Durch immer wiederkehrenden Abgleich des Gemeinsamen gelingt die Vergewisserung. Sichtbar wird so ein Wunsch nach Gemeinsamkeit innerhalb einer Gruppe. Damit wird ein wortloser Diskurs über das Tanzen an sich geführt, ohne, dass ein darüber hinausweisendes, konkretes Thema dramaturgische Notwendigkeiten entstehen lassen würden. Gleichförmigkeit, die trotzdem keine dramaturgische Schwäche darstellt. Exerzitien, ein bisschen rituell, aber ohne mit Bedeutung überfrachtet zu sein. Klare Bewegungsmuster, die Spielraum ermöglichen. Ganz so, wie die musikalische Komposition aufgebaut ist.

Durch den flexiblen, stark subjektiven Einsatz der Kamera vergisst man vom ersten Moment an, dass man nicht direkt vor Ort im radialsystem ist. In geradezu dokumentarischer Weise werden Bildausschnitte erlaubt, die nicht auf kompositorische Ästhetik abzielen, sondern die Tänzerinnen und Tänzer so nah wie möglich und für länger als nur einen Augenblick zeigen wollen. Wenn die Kamera einer einzelnen Tänzerin folgt, werden alle anderen unwichtig und geraten aus dem Fokus. Dieses Konzept arbeitet so organisch, dass die Wirkung eine völlig natürliche ist. Die Kamera interessiert sich für den Einzelnen und schafft es, so etwas wie Vertrautheit entstehen zu lassen.

Mittels der simplen Lösung eines einfarbig beleuchteten Hintergrunds und individuellen Bildausschnitten kann der Raum kameratechnisch mitgedacht, im nächsten Moment aber durch eine Totale aufgelöst werden, wenn die Farbe des Hintergrunds den gesamten Bildschirm einnimmt.

Wenn gegen Ende hin die Musik aussetzt und durch die Atemgeräusche der Tänzer*innen und das Auftreffen der Füße auf den Tanzboden ersetzt wird, bricht augenscheinlich das eigentliche Motiv weg. Die vorherige Einheit der Gruppe scheint abgelöst durch mehrere Individuen, die ganz für sich agieren, ohne Verbindung zu den anderen. Bis sie sich dann doch wieder synchronisieren, zusammenfinden, um schlussendlich, vereinzelt, die Bühne zu verlassen. So offen, wie diese lose Struktur gestaltet ist, so offen bleibt das Ende. Tanz kennt eben kein Ende.

Die Aufzeichnung des Live-Streams ist bei Arte und außerdem ist er auf der Homepage www.sashawaltz.de abrufbar.

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