„Dornröschen“ von Rudolf Nurejew. Tanz: Eleonora Abbagnato und Mathieu Ganio 

„Dornröschen“ von Rudolf Nurejew. Tanz: Eleonora Abbagnato und Mathieu Ganio 

Das „Ballett der Ballette“

„Dornröschen“ nach neun Jahren wieder an der Pariser Oper – in neuer Besetzung

Eleonora Abbagnato - seit März diesen Jahres eine „Etoile“ - gab ihr Debüt als Aurora neben dem stilsicheren Mathieu Ganio als Prinzen.

Paris, 08/12/2013

Nurejew nannte es „das Ballett der Ballette“, Kenneth MacMillan diente seine Struktur als Vorlage für die Komposition seiner abendfüllenden Handlungsballette, John Neumeier sieht es als den Anfang des „sinfonischen“ Balletts: Marius Petipas „Dornröschen“ aus dem Jahr 1890. Zahlreiche Choreografen des 20. Jahrhunderts schufen eigene Fassungen des Stücks, beispielsweise Ninette de Valois, Kenneth MacMillan, Marcia Haydée oder Mats Ek. Rudolf Nurejew, der im Westen zahlreiche Klassiker neu inszenierte, choreografierte gleich vier verschiedene Versionen des Balletts – die erste 1966 an der Mailänder Scala, in der er selbst an der Seite von Carla Fracci auftrat, dann zwei Fassungen für das London Festival Ballet (1975) und für die Wiener Staatsoper (1980).

Im Jahr 1989, knapp hundert Jahre nach der Uraufführung, kreierte er seine Version für das Ballett der Pariser Oper. Diese Fassung, in einer neuen Ausstattung von Ezio Frigerio (Bühnenbild) und Franca Squarciapino (Kostüme) war nun, nach neunjähriger Abwesenheit, wieder auf der Bühne der Pariser Opéra Bastille zu sehen (siehe auch hier).

Gewiss: das überladene Bühnenbild mit dem vielfarbigen Marmor und den – wohl Michelangelo parodierenden – nackten Frauenstatuen über den überdimensionalen Toren, die selbst die Jagdszene im Wald überwuchern, hat sich im Laufe des letzten Jahrzehntes nicht gebessert. Das Gleiche gilt für die teilweise unansehnlichen Gewänder – genannt seien hier nur die goldenen Schuppenkostüme mit turmhohen befiederten Helmen der Feenbegleiter und die unbekümmerte Kombination verschiedener Nuancen von Orange, Rosa, Gelb und Hellblau im dritten Akt. Das ganze Ballett ist außerdem überflutet von einer beinahe grenzenlosen Vielfalt unkleidsamer Hüte und Perücken (wobei die der Männer im Rosenwalzer wohl die Siegespalme der Ungepflegtheit verdienen), von denen lediglich das Hauptpaar verschont bleibt – allerdings nur bis zum dritten Akt, wo auch sie unter Zuckerhauben verschwinden, was sie eines großen Teils ihres jugendlichen Elans beraubt.

Trotz aller Schwere, die durch die ausladenden Kostüme und die gewichtigen Kopfbedeckungen erzeugt wird, zeigte sich die Kompanie in dem Ballett in ihrer besten Form. Die Feen, angeführt von der souveränen Eve Grinsztajn als Nummer sechs (Nurejew strich die Bezeichnungen der Feen und nummerierte sie einfach, wobei die sechste Fee die Variation der Fliederfee tanzt), waren sehr gut besetzt. Besonders die federleichte Charline Giezendanner überzeugte in der vierten Variation („canari qui chante“ oder Beredsamkeit). Carabosse und die Fliederfee hingegen konzipierte Nurejew als – manchmal etwas langatmige – Pantomimerollen. Auch in den übrigen Divertissements glänzten die Solisten: im dritten Akt, den Nurejew um die meisten Märchen kürzte, absolvierte Yannick Bittencourt die äußerst undankbare „Gold“-Variation mit erstaunlicher Präzision, wenn auch einige Eigenheiten der Choreografie – beispielsweise die Sprünge, die im Plié in der zweiten Position mit dem Rücken zum Publikum enden – immer noch einen seltsamen Eindruck hinterlassen. Einen Höhepunkt des Abends bildeten schließlich die beiden „Etoiles“ Myriam Ould-Braham und Mathias Heymann im Pas de deux des Blauen Vogels – ein Anthologiestück der Leichtigkeit und Musikalität, der exakt gesetzten Akzente, der hohen und weiten Sprünge und lupenreinen Fußarbeit. Hier treibt der französische Stil einige seiner schönsten Blüten.

Als Aurora war an diesem Abend Eleonora Abbagnato zu sehen, die – nach ihrer lange erwarteten Nominierung zur „Etoile“ im März diesen Jahres – ihr Debüt in dieser Rolle gab. Abbagnato ist eine äußerst ausdrucksstarke dramatische Tänzerin, die vor allem im neoklassischen und zeitgenössischen Repertoire brilliert. Dass sie sich in der hochklassischen Technik nicht ganz zuhause fühlt, sieht man daran, dass ihr Tanz zuweilen leicht hektisch und mechanisch wirkt; auch spielt sie manchmal etwas zu viel und flirtet zu selbstbewusst mit den Prinzen für ein unschuldiges sechzehnjähriges Mädchen – man fühlt sich an ihre Kameliendame im ersten Akt erinnert. Dies ändert nichts daran, dass sie eine äußerst glamouröse Prinzessin ist, der es keineswegs an Ausstrahlung mangelt.

Gelöster und stilsicherer war an ihrer Seite Mathieu Ganio als Prinz. Angesichts seiner herausragenden Darbietung kann man Nurejew dankbar sein, dass er – wie in seinen Werken üblich – die männliche Hauptrolle deutlich ausstaffierte: allein im zweiten Akt tanzt der Prinz drei Variationen. Bereits die erste war ein stilistisches Paradestück von einer Finesse, wie man sie auch in dieser Kompanie inzwischen sehr selten sieht. Vollendete Eleganz, ein flüssiger, elastischer Stil mit stets perfekten Enchaînements, weite, großzügige Sprünge, Musikalität und eine harmonische Linie, schnelle und präzise Fußarbeit – all dies scheint für Ganio eine Selbstverständlichkeit. Man kann nur begrüßen, dass diese Besetzung bald auf DVD verewigt wird – nachdem ihre Darbietung bereits am 16. Dezember in verschiedene französische und europäische Kinos übertragen wird.
 

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