Mit Glanz und Gloria

Swetlana Sacharowa in Rudolf Nurejews "Dornröschen"

Paris, 08/12/2004

Darauf haben sich die Freunde des klassischen Balletts seit Anfang der Spielzeit gefreut: die Wiederaufnahme von Rudolf Nurejews „Dornröschen“, 1989 uraufgeführt und seit vier Jahren vom Spielplan verschwunden, leitet den Reigen der drei großen Nurejew-Inszenierungen („Dornröschen“, „Cinderella“, „Romeo und Julia“) ein, die für dieses Jahr auf dem Spielplan der Pariser Oper stehen. Nurejew nannte Dornröschen das Ballett der Ballette und tatsächlich erlaubt es das Stück wie kaum ein zweites, die Stärken dieser exzellenten Kompanie zu bewundern. Der Vorhang öffnet sich vor einem Bühnenbild im überprunkvollen Fantasiebarock: ein Thronsaal voller zartgrüner, mit goldenem Blätterwerk umrankter Säulen, dahinter zwischen zwei riesigen Toren ein Bauwerk, das an Palladios Villa Rotunda erinnert (Bühnenbild von Ezio Frigerio). Vor diesem Hintergrund füllt sich die Bühne alsbald mit den verschiedensten Protagonisten: das königliche Paar und Catalabutte, sechs Feen und ihre Begleiter und der Hofstaat in Pastellgrün und Gold. Schon da beginnt man zu ahnen, was im Laufe des Balletts immer mehr zur Gewissheit wird: die für die Wiederaufnahme im Jahre 1999 von Franca Squarciapino neu kreierten Kostüme sind oft etwas zu überladen – besonders auffällig sind die goldenen Gewänder der Feenbegleiter, die grünen „Regenmäntel“ der Dryaden im zweiten Akt und das Farbenchaos der Kostüme im dritten Akt. Zudem durchzieht ein Potpourri zuweilen grotesker Kopfbedeckungen das Ballett, ganz zu schweigen von den unvorteilhaften Perücken, unter denen im dritten Akt sämtliche Protagonisten verschwinden.

Abgesehen davon weist die Inszenierung gewisse Längen auf, vor allem am Anfang und Ende einiger Akte. Zu diesen trägt unter anderem Nurejews Entscheidung bei, die Rolle der Fliederfee und die der Carabosse als reine Schreitrollen zu konzipieren. Auch wenn beide Feen sehr gut gespielt waren, schafften sie es kaum, das Stück zu beherrschen und man kann es sich nicht verkneifen, wehmütig an Marcia Haydées Inszenierung mit ihrer getanzten, überaus machtvollen Carabosse-Rolle zurückzudenken, in der zudem ein mitreißender Kampf zwischen Gut und Böse stattfindet – hier hingegen muss der Prinz nicht das geringste Hindernis überwinden, um zu seiner Schönen zu gelangen.

Doch hat Nurejews Inszenierung auch durchaus ihre Stärken und das Stück profitiert von der hohen Qualität der Tänzer. Das Corps de Ballet zeigte sich in ausgesprochen guter Form und erfreute die Zuschauer durch perfekte Linien und großes tänzerisches Engagement. Die besonders zahlreichen Nebenrollen boten den Tänzern des Corps eine willkommene Gelegenheit, ihr Können zu demonstrieren, zum Beispiel in den überwiegend einwandfrei getanzten Variationen der Feen. Im dritten Akt strich Nurejew die meisten der traditionellen Märchentänze, so dass nur noch der Pas de Cinq der Edelsteine, der Pas de Deux von Prinzessin Florine mit dem Blauen Vogel und der gestiefelte Kater mit der weißen Katze übrig blieben. Besonders herausragend war unter diesen die ausgesprochen grazile Delphine Moussin als Prinzessin Florine, die sich nicht damit begnügte, die Rolle zu tanzen, sondern sie auch sehr überzeugend spielte.

In den Hauptrollen waren an diesem Abend Swetlana Sacharowa (als Gast vom Bolschoi Ballett) und José Martinez zu sehen, eine Besetzung von seltener Vollendung. Sacharova tanzte in lupenreinem russischem Stil, der sich deutlich von dem ihrer französischen Kolleginnen unterschied, so setzte sie häufig andere Akzente als diese. Ihre technische Souveränität und Leichtigkeit waren beeindruckend, ebenso ihre Wandlungsfähigkeit: im ersten Akt verkörperte sie eine Prinzessin von scheuer Unschuld, die sich aber dennoch ihrer hohen Stellung bewusst ist. Im zweiten Akt unkörperliche Vision, verwandelte sie sich im dritten Akt in eine selbstbewusste Prinzessin, deren Bewegungen in jedem Augenblick königliche Würde ausstrahlten.

José Martinez erwies sich an ihrer Seite als perfekter Prinz: voller Souveränität, mit weiten Sprüngen, tadelloser technischer Präzision und vollkommener Linie. Eine der markantesten und gelungensten Besonderheiten dieser Inszenierung ist die für Nurejew typische Erweiterung der Rolle des Prinzen, dieser tanzt hier im zweiten Akt drei Variationen, davon eine besonders lange und anspruchsvolle, die seine Melancholie und seine unbestimmte Sehnsucht ausdrückt. Martinez nutzte diese Variation, um sein schauspielerisches Können zu beweisen und dem Prinzen eine eigene Persönlichkeit zu verleihen, ohne sich im Geringsten die hohe technische Schwierigkeit der Choreografie anmerken zu lassen. Besonders im Gedächtnis bleibt die einfach atemberaubende Folge von Grand Jetés en manège in Martinez’ Variation im dritten Akt.

Nach diesem außergewöhnlichen Abend kann man sich schon auf die nächsten viel versprechenden Besetzungen freuen, beispielsweise auf Aurélie Dupont und Manuel Legris, Agnès Letestu und José Martinez, Myriam Ould-Braham und Mathieu Ganio oder auf Marie-Agnès Gillot und Roberto Bolle.

Besprochene Aufführung: 4.12.2004, bis zum 31.12.2004, Paris, Opéra Bastille

 

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