Singende Bäume und schnatternde Flammen

Marcia Haydée mit "Ramayana" in Schwäbisch Gmünd

Schwäbisch Gmünd, 22/05/2000

Schon bevor sich der Vorhang öffnet ertönt von der Bühne ein merkwürdiges, schnatterndes Geräusch. Es schwillt allmählich an, der Vorhang geht auf, und braune Männer mit freien Oberkörpern und in zwischen den Beinen geschürzten, schwarzweiß karierten Röcken stürmen von beiden Seiten auf die Spielfläche, wirbeln durcheinander, es werden immer mehr und mehr. Ihre erhobenen Arme gestikulieren wie ein sturmgezauster Wald, aus ihren Kehlen kickern und keckern wilde, gellende Laute – ein archaisches Erlebnis für Augen und Ohren, das vom Publikum im Stadtgarten von Schwäbisch Gmünd denn auch mit spontanem Applaus gefeiert wird.

Kecak heißt dieser traditionelle, in den Dreißigern neu belebte Männertanz und -gesang aus Bali. Erstmals überhaupt wird er in Deutschland von einer kompletten, sechzigköpfigen Formation aufgeführt. Allerdings nicht als authentische Folklore, sondern in einer für westliche Zuschauer kommerziell choreografierten Version, wie sie inzwischen auf Bali üblich ist.

Der schwedische Tänzer und Choreograf Ulf Gadd, er lebt auf Bali, hat die Geschichte des indischen Gottes Rama und seiner Gefährtin Sita für die eigens zusammengestellte Truppe mit der ehemaligen Stuttgarter Ballettdirektorin Marcia Haydée als Stargast arrangiert. Selbstverständlich, dass sich zur Uraufführung von „Ramayana“ viele Stuttgarter Ballettfreunde in Schwäbisch Gmünd eingefunden hatten. Der Kecak wird auch Affentanz genannt. In der Tat klingen diese in rhythmischen Verschiebungen hervorgestoßenen cak-cak-cak-Laute zuweilen wie das scheinbar panische Schreien einer aufgescheuchten Affenherde. Nur selten mischen sich kehlige Gesänge in sie und kurzes Zischen, das allerdings auch als Signal für Bewegungswechsel dienen könnte.

Diese gewaltige Männergruppe bietet einen imposanten Anblick. Im großen Kreis hockend, zuckt sie mit den Schultern, wiegt die Oberkörper, lässt die Hände flirren, steht auf, um mit seitwärts einknickenden Beinen zu tanzen, bildet mit ihren Körpern Baum- und Buschgruppen, züngelnde Flammen und erregtes Volk.

Und Marcia Haydée? Sie soll die Sita tanzen, von Rama (Nyoman Sura) ganz nach eigenem Gutdünken oder Volkes Willen verstoßen und wieder herbeigeholt, fortwährend auf Unschulds-Feuerproben gestellt, endlich als Mutter an diesem Chauvinismus zerbrechend. Außerdem sollte sie die Begegnung westlicher und östlicher Kultur zuwege bringen. Nur ist Ulf Gadd dazu kaum etwas eingefallen. Jedenfalls nichts, was westliche Zuschauer sonderlich erregen würde. Neben dem blendend ausschauenden, mit seinen Fingern bezaubernde Tänze vollführenden Sura und inmitten dieser brodelnden Männerlava wirken ihre beseelt ausgestreckten Ballerinenarme, barmenden Wanderungen rund im Kreis und streng abwehrenden Gesten seltsam steril, unbeweglich und fehl am Platze.

Auch Gadd, wie vor ihm schon zweimal Jean-Christophe Blavier, scheint fälschlich darauf vertraut zu haben, dass es Marcia Haydées ausdrucksstarkes Gesicht und ihre Ebenholzhaare schon richten werden. Sie tun es nicht. Und das ist nicht Haydées Schuld, wie wir spätestens seit ihrer erschütternden Isolde im Stuttgarter Theaterhaus wissen. Es gibt zwei kurze Momente, in denen Marcia Haydée zu erkennen gibt, was aus diesem Stück hätte werden können – als sie im von Chiara Tanesini entworfenen weißen Kleid vor ihrer zweiten Feuerprobe steht, da wirkt sie so zart und zerbrechlich, dass es einem das Herz zusammen zieht. Und als sie die ihr ins Gesicht hängenden Haare teilt und vorsichtig zwischen ihnen hervorlugt – welches darstellerische Potential hat Ulf Gadd ungenutzt gelassen!

Vor der Premiere hat Marcia Haydée von der großen Spiritualität gesprochen, die sie bei den Proben auf Bali erfahren habe. Vielleicht hat sich ja sogar ein solches Erleben auf der Bühne erneut eingestellt. Aber das Stück scheitert an der Aufgabe, dieses Gefühl in den Saal zu übermitteln. Dennoch ist „Ramayana“ wegen seiner unerhört dynamischen Massenschau- und Hörbilder ein beeindruckendes Ereignis.

Vor der Pause wurde die älteste balinesische Bühnenkunst geboten: Gambuh, ein ritualisierter, eher zweidimensionaler, gezierter Tanz von beredter Körpersprache in prächtigen, perlenbestickten Kostümen, in dem die Ausführenden mit quäkenden, gutturalen und schwingenden Stimmen heftige Diskussionen führen, während sie von elf Musikern mit Bambusflöten und Percussionsinstrumenten in leierndem Rhythmus begleitet werden.

Im Rahmen einer Deutschlandtournee, bei der allerdings wegen mangelnden Interesses einige Termine entfallen sind, wird „Ramayana“ am 4. Juni auch in der Stuttgarter Liederhalle zu sehen sein.

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern