Bayerisches Staatsballett

München, 08/02/2000

Was vor allem für die früheren, seinerzeit ganz ungewohnten Choreografien von Jiri Kylián gegolten hat, dass sie nämlich nicht nur ausgesprochen attraktiv für das Publikum waren, sondern auch ihren Interpreten eine neue Art von Tanzlust bescherten, das gilt heute fraglos ebenso für die Bewegungssprache des Frankfurter Ballettdirektors William Forsythe, der seinen Tänzern und Zuschauern mit seinem eigenen künstlerischen Idiom zugleich die neoklassische Qualität George Balanchines vermittelt. Sein Einfluss auf die heutige Choreografen-Generation ist immens. Und meistens ist er ebenso unübersehbar. Aus den Werken zweier jener drei jungen Choreografen, die den jüngsten Premierenabend des Bayerischen Staatsballetts im Münchner Prinzregententheater beinahe ausschließlich mit den Gruppentänzern der Compagnie bestritten haben, springt er das Publikum bereits nach wenigen Sekunden regelrecht an.

Doch Patrick Teschner, Solotänzer der Compagnie, und Nicolas Musin, der sich nach einer erfolgreichen Solistenkarriere an großen Häusern jetzt ganz aufs Choreografieren verlegte, haben genügend schöpferische Potenz und Einfallsreichtum, um bald zu einem individuell geschärften Profil zu gelangen. Teschners Erstaufführung „Quartett in G“ zur Streichermusik von Terry Riley lässt Silvia Confalonieri und Amilcar Moret Gonzalez in einem Verhau aus transparenten Plastikvorhängen einen innigen Pas de deux tanzen, während außen Laure Bridel Picq und Cheryl Wimperis, jede für sich, ihre Kreise ziehen. Selbst als sie in die enge Welt der beiden einbrechen, vermögen sie nicht, deren Liebe zu stören. Sie festigen sie eher. Das wird mit raumgreifenden Schwüngen auf Spitze exekutiert, scharf, angriffslustig, hier synchron, dort sozusagen auf eigene Faust, doch ohne körperliche Berührung der Kombattanten, ja sogar, ohne dass sie sich eines Blickes würdigten.

Teschners Tanzarchitektur auf der bis auf die Brandmauern aufgerissenen Bühne ist beeindruckend. Kein Wunder, dass er mit diesem Stück beim vergangenen Dom-Pérignon-Choreografen-Wettbewerb in Hamburg bis in die Endrunde vorgedrungen ist. Musin bedient sich in seiner Uraufführung „Boudoir“ für acht Damen und Herren zu einer Musikcollage von Purcell bis Piaf beinahe ausschließlich forsythescher Stilmittel, der ebenfalls leeren Bühne, des Monitors mit einem peependen Auge, des grauen Lichts, gar des Scheinwerfers, der die Tänzer bedrängt und vieler anderer.

Auch Valerie de Rues sexy Bodies gemahnen an Frankfurt. Doch all das wird unter den Händen Musins zu einem aparten, schneidigen Vexierspiel höchst athletischen Tanzes, gespickt mit rätselhaften Aktionen, wie dem Herumschieben kostbarer Möbel, einem erbarmungslos zum Tode der Tänzerin führenden Duo, Kampftraining, Glamourposen auf einer Kommode, ohne dass es aufhören würde, seine Zuschauer zu fesseln.

In Katja Wachter hat Ballettchef Ivan Li(s)ka ein beachtliches Talent entdeckt. Jedenfalls ist die junge Dame eine Entdeckung für den etablierten Tanz, denn in Münchens freier Szene ist sie durchaus ein Begriff. Ihre Uraufführung „Erlaubte Frucht“, Wachters erstes Ballett für eine klassische Truppe, ist von einem sehr merkwürdigen Zauber bestimmt. Ob sie mit diesem Medizinmann, der eine Gruppe Menschen zum Genuss von Äpfeln verführen will und schließlich einfach stehen gelassen wird, Jörg Haider im Sinn hatte? Wer weiß. Nie hätte man von einer avantgardistischen Choreografin einen derart dynamischen, tanzbeseelten und exotischen Wirbel erwartet, ein Bewegungsfurioso der animierendsten Art, frisch, von einem Firnis feinen Humors überzogen. Beziehungen entwickeln sich und zerfallen wieder, da machen sich apfelgedopte Gliedmaßen selbstständig, das springt und dreht, im Inneren dieser Körper scheinen sich endlose Lavaströme der Tanzenergie zu entladen. Und wie respektlos Katja Wachter Werke von Paganini zu einer Collage zusammengeschnippelt hat, sie von swingendem Blues durchdringen lässt, das befremdet zunächst, wird aber im Laufe dieser interessanten dreißig Minuten immer plausibler. Evelyn Straulinos einfache und doch üppige Kostüme steuern ein gerüttelt Maß zu diesem Erfolg bei.

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