Vielversprechender Nachwuchs

TänzerInnen des Hamburg Ballett als „Junge Choreographen“ im Schauspielhaus

Hamburg, 28/03/2012

Wie schon im Vorjahr, so präsentierten auch dieses Jahr Tänzer des Hamburg Ballett eigene choreografische Arbeiten, wiederum in Kooperation mit dem Hamburger Schauspielhaus: „Junge Choreographen“ heißt die Reihe, die Hamburgs Ballett-Intendant John Neumeier schon 1974 ins Leben gerufen hatte und die seither in unregelmäßigen Abständen gezeigt wurde. Die Tänzer studierten ihre fünf bis 15 Minuten dauernden Stücke neben dem laufenden Spielplan ein und zeichneten nicht nur für die Schritte und Musikauswahl, sondern auch für Kostüme, Kulisse und Programmblatt verantwortlich.

Der Anfang war eher verhalten und von Düsternis geprägt. Alban Pinet ließ in „Vor dem Gesetz“ zwei Paare umeinander und etwas ratlos um ein weißes Hemd kreiseln. Florian Pohl schuf mit „Nobody Sees“ zu Musik von Portishead („Roads“) ein Solo, das Verlorenheit und Verzweiflung, Sehnsucht und Hilflosigkeit eines jungen Mädchens darstellt – sie wird einfach nicht gesehen, so sehr sie sich auch verbiegt und streckt (sehr eindrücklich umgesetzt von Yun-Su Park). Braulio Álvarez stellte eine Bewegungsstudie über seine „Vorstellung von der Wirklichkeit“ für drei Tänzerinnen zu drei Walzern von Eric Satie – auch das ein eher melancholisches Stück. Lennart Radtke hatte einen eher harmlosen und über weite Strecken zu süßlichen Pas de Deux über die erste Liebe eines jungen Paares zur Sonate für Cello und Klavier (live auf der Bühne gespielt!) einstudiert. Diese Belanglosigkeit verwunderte - hatte er doch 2011 ein bemerkenswertes New-York-Stück zur Rhapsodie in Blue von Gershwin präsentiert.

Umso erfrischender dann der „flüchtige Blick in die Welt der Glühwürmchen“, den Marcelino Libao von den Philippinen zu heimatlicher Volksmusik gewagt hat. Aus blau getränktem Bühnennebel lösen sich drei Frauen in schwarzen, eleganten Trikots, Netzstrümpfen und Spitzenschuhen und farbig bemaltem Gesicht (Yuka Oishi, Isadora Valero Meza, Futaba Ishizaki), die vor lindgrünlichtem Prospekt über die Bühne flirren, aufgescheucht von einem ebenso virilen wie fragilen männlichen Wesen (Lennart Radtke). Zwei von ihnen räumen schließlich das Feld, und das übrig bleibende Paar liefert sich einen funkensprühenden Paarungstanz. Das platzt vor Witz und Phantasie und bringt erfrischend neue Bewegungsideen auf die Bühne – großes Kino! Bei Aleix Martinez wird es in „Trencadís“ dann wieder eher schwermütig. Er lässt die gesamte Beleuchtungsmaschinerie tief über die schwarz ausgehängte Bühne herunterfahren und öffnet die Gassen, sodass man auch dort die Scheinwerferbatterien sieht. Das schafft eine nüchterne, technisch betonte, beängstigende Atmosphäre, in der zwei Tänzerinnen und zwei Tänzer mehr aneinander vorbei als miteinander tanzen. Auf dem Boden liegt eine verhüllte Gestalt, die sich langsam aus ihrer grauen Hülle schält. Alle fünf mühen sich nach Kräften, sich aus Zwängen verschiedenster Art zu befreien und zur Wahrheit zu finden, ganz nach dem Motto von Antoni Gaudí, unter das Aleix Martínez seine Arbeit gestellt hat: „Der Gedanke ist nicht frei, sondern dient der Freiheit. Freiheit ist keine Sache des Denkens, sondern des Willens. Die Liebe zur Wahrheit muss über jeder anderen Liebe stehen.“ Das ist keine leichte Kost – lässt aber ahnen, wie viel Nachdenklichkeit und Tiefgründigkeit in diesem Tänzer und jungen Choreografen steckt. Constant Vigier bietet dazu mit „3x2 für M&M“ für drei Paare zu Musik von Mozart und Mendelssohn-Bartholdy einen freundlich-heiteren Kontrast – bleibt aber doch sehr in Neumeier-Anleihen gefangen und kann hier noch kein eigenes Profil entwickeln.

Die unstrittigen Höhepunkte des Abends folgten nach der Pause: „Zozula“ von Edvin Revazov nach ukrainischer Volksmusik – eine grandiose Verhaltens- und Lebensstudie über fünf Vögel im Sumpf. Revazov findet hier eine ebenso expressive wie musikalische Bewegungssprache, die sich kongenial der Musik anpasst, ohne ihre Eigenständigkeit zu verlieren. Sasha Riva wählte ein hoch emotionales Stück von Mika („Over the shoulder“) sowie elektronische Musik von Apocalyptica, um seine „Reflexion über Gegensätze und das Bemühen, sie ins Gleichgewicht zu bringen“ auf die Bühne zu bringen – verkörpert in einem großartigen Pas de Deux zwischen der 18 Jahre älteren, Silvia Azzoni und ihm selbst. Erfahrung, Reife, Gelassenheit und Souveränität treffen auf Neugier, Unsicherheit, Ängstlichkeit, Ungestüm und Hingabe. Da zeigt sich ein ganz großes choreografisches und darstellerisches Talent.

Wunderbar fließend und leichtfüßig zum Ausklang des Abends: die „Einflüsse“ von Miljana Vracaric, eine sensible, feminine Studie für fünf Paare zu Musik von Albinoni, wie sie harmonischer und vielfältiger zugleich nicht sein könnte – pure Freude an Musik und Bewegung, aber auch an der Begegnung und Eigenständigkeit. Das zerging auf der Zunge wie edelstes Konfekt.

Eine weitere Aufführung am heutigen Mittwoch, den 28. März, um 20 Uhr im Hamburger Schauspielhaus.

 

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