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Urban Arts Ensemble Ruhr und Danza Contemporánea de Cuba mit „Exposure“ auf PACT Zollverein Essen
Urban Arts Ensemble Ruhr: Rauf „Rubberlegz“ Yasit mit „Flesh and Shadow“ in Ingolstadt
So richtig rumgesprochen hat es sich noch immer nicht, dass entscheidende Impulse in Sachen Bewegungstechniken seit geraumer Zeit aus den Urban Arts kommen. Da scheint's noch immer einiges an Berührungsängsten zu geben. Was äußerst bedauerlich ist. Denn dort, wo im Contemporary immer mal wieder Arbeiten an überambitioniertem Konzept ersticken oder uninspiriertes Bewegungsmaterial bringen, quillt bei all denen, die aus Richtung Hip-Hop, Breaking und Artverwandtem kommen, der kreative Eimer über. Dass das auch bei Rauf „Rubberlegz“ Yasit der Fall ist, ist nichts Neues. Nicht ohne Grund hat Großmeister Forsythe irgendwann mal bei ihm an die Tür geklopft. Parallelen hatte der zwischen den Arbeiten der beiden Künstler gesehen, eine ganz ähnliche Art, zu denken.
Vielleicht ist es der konstruktivistische Ansatz. Mit „Flesh and Shadow“ zumindest baut Yasit für das Urban Arts Ensemble Ruhr ein traumartiges Sammelsurium an Erinnerungsbildern, deren Bewegungsansätze so komplex daherkommen, als hätte er sie unzählige Male durch den Fleischwolf gedreht und wieder neu zusammengesetzt. Dabei erklärt er im Gespräch, dass die sechs intensiven Probenwochen auch von vielen Gesprächen geprägt waren, Ermutigungen für die Tänzer*innen, sich aus der Komfortzone zu wagen und gleichzeitig eine Bewegungssprache zu finden, die ihre eigene ist. Und das ist allen Beteiligten ganz offensichtlich gelungen. Die Kongenialität, mit der die vier Performer*innen augenscheinlich völlig sie selbst sind, ohne irgendwer oder irgendwas darüber hinaus sein zu wollen, ist eine der Stärken von „Flesh and Shadow“. Das hat eine innere Selbstverständlichkeit, als stünde es ganz außer Frage, sich auch anders ausdrücken zu können. Zusammengehalten wird das von Yasit, indem er selbst mittanzt.
Ohne denkbares Label
Er selbst verwendet immer wieder den Begriff „abstract B-Boy“ und „abstract breaking“, wenn man versucht, sich mit ihm über seinen Stil auszutauschen. Trotz der vielen Möglichkeiten passt aber kein Label wirklich auf das, was er in seinen Bewegungstechniken schafft. Das braucht's am Ende aber auch nicht. Und gerade in der Diskussion um seinen Ansatz ist auch das nicht neu.
Was aber macht das Urban Arts Ensemble Ruhr in Bayern? Gute Verbindungen zum Haus in Ingolstadt pflegen. Und das Publikum ist dafür äußerst dankbar, wie der Schlussapplaus zur Premiere gezeigt hat. Dass dieses Bildertheater wirklich individuell zugänglich ist, hat auch Intendant Oliver Brunner festgestellt. Zum Ende der Premierenfeier verabschiedete er sich von Yasit mit den Worten, er habe der Stadt mit dieser Arbeit einen Gefallen getan. Das Monster in Mary Shelleys „Frankenstein“ wird tatsächlich in Ingolstadt erschaffen. Und Szenen, die wie ein Tanz mit Toten auf dem Seziertisch wirken, lassen sich eben problemlos da anbinden.
Bruchstücke und Erinnerungen
Davon wusste Yasit allerdings nichts. Stattdessen greifen seine Sequenzen zurück auf autobiografische Bruchstücke, Erinnerungen der Tänzer*innen und verschiedenste kulturelle Impulse. Akustisch überlegt Yasit hier beispielsweise georgische Gesänge mit kurdischer Musik, die seinen Wurzeln nahekommt. Spätestens, wenn Granatäpfel auf der Bühne auftauchen, erhebt sich die Stimmung ins Religiöse, bekommt fast Züge von Ikonenmalerei. Wie zum letzten Abendmahl kommen alle an der langen Tafel zusammen. Dabei war es Yasits Großmutter, wie er verrät, die mit dem Öffnen eines Granatapfels immer wieder die Familie zusammenzubringen wusste.
Das macht auch vor absurden, ganz merkwürdigen Einsprengseln nicht halt, etwa, wenn auf einer Schaufel plötzlich nur der Kopf von Polina Skarha auftaucht, während neben ihr auf dem Tisch ein Tänzer ohne Kopf zu agieren scheint. Diese Bildideen kommen auch aus Yasits Hintergrund als 3D-Designer und Fachmann für Visualisierung.
Überraschung steckt aber auch in der Akustik, wenn plötzlich Reinhard Mey vom Rittersporn in seinem Garten singt. Inwiefern Yasit damit einen Seitenhieb auf die Haftbefehl-Doku bringt, ist offen. Entscheidend scheint der Text an sich, der hier gleich nach der zweiten Zeile in einem verfremdeten Echo versandet. Es ist die Vergänglichkeit aller Dinge, Verlust und die schmerzhafte Erkenntnis, die damit verbunden ist. So gesehen kommt das ganze Stück schon recht düster daher, optisch, klanglich, atmosphärisch. Trotzdem ist „Flesh and Shadow“ kein Abgesang auf das Endliche. Allem unterliegt eine scheinbar nicht versiegende Kraft. All is not lost. Hier könnte man auch sagen: Es brennt noch Licht im Eimer.
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