
Die Bühne ist ein angedeutetes Wohnzimmer im Halbdunkel. Ein Mann versucht mehrmals eine Zigarette anzuzünden, doch wenn die Flamme angeht, zuckt er ruckartig zusammen. Während er abgeht, erscheint ein Paar. Der Mann redet auf die Frau ein, die sich genervt langsam von ihm zurückzieht. Sie beugt sich mehr und mehr nach hinten, berührt mit dem Hinterkopf den Boden, verschwindet dann mit einem Salto rückwärts über das Sofa. Eine andere setzt sich auf einen Stuhl und knabbert Möhren.
Bei diesen ersten Bildern aus „Play Dead“ wähnt man sich in einem frühen Stück von Pina Bausch. Bald wird dann mit vielen akrobatischen Einlagen emotional getanzt, nicht um athletische Kunststücke zu verbinden, sondern zur Verstärkung des Ausdrucks. Die alltäglichen Handlungen und die Tänze sind oft akrobatisch so übersteigert, dass sie erschreckend oder absurd wirken. Wir sind im Zeitgenössischen Zirkus, in dem sich durch Übertreibung und Irritation Szenerien irreal verdichten. Akrobatik ist hier weder Wettkampf noch l’art pour l’art, sondern wird ebenso wie die Tänze von realen Gefühlen der Akteure getragen. Ihre Darbietungen wirken authentisch – und immer wieder blitzt auch Humor auf.
Eine Frau klettert in den Schrank, tanzt darin, hüpft mehrfach heraus und wieder hinein, kann sich offenbar zwischen ihren Kleidern nicht entscheiden. Neugierig schaut die Gruppe zu. Halbnackt turnt sie waghalsig in und am Schrank herum. So werden die wenigen Möbel häufig bespielt oder als artistisches Gerät genutzt.
Zwei Männer begegnen sich in einem heftigen Pas de deux, setzen sich auseinander, kämpfen miteinander, kommen dann mit übersteigerten körperlichen Posen wieder zusammen. Auf dem Schrank beobachten zwei Frauen das Geschehen. Während die Männer im Dunklen verschwinden, beginnen die beiden ganz allmählich einen kühnen Pas de deux auf dem engen Möbelstück.
Assoziativer Fluss der Bilder
In „Play Dead“ vereint „Play“ das Spiel, das Fröhliche, die Leichtigkeit - in „Dead“ dagegen den Tod, die Verzweiflung, das Bedrohliche. Das Ensemble zeigt diese emotionalen Zustände, die es in der Abgeschiedenheit der Corona-Zeit empfand, in Form brachte und choreografierte. Natürlich beherrschen alle ihre unterschiedlichen artistischen Techniken, die in die Choreografie einfließen. Etwa um Gefahren darzustellen, gehen sie echte Risiken ein: Einzelne lassen sich aus fünf Meter Höhe fallen, balancieren über aufrechtstehende Flaschen oder stürzen von der Rampe. Ihre einst gelernten Zirkustricks sind kein Selbstzweck, sondern performatives Wagnis.
Im Laufe des langen Abends wechseln unterschiedliche Szenen zum Thema „Play Dead“ - häufig in atemlosem Tempo, bisweilen aber sehr langsam. Es wird keine durchgehende Geschichte erzählt, sondern assoziative Bilder fließen ineinander. Dadurch bleiben die Darstellungen vieldeutig.
Die kanadische Truppe People Watching fand sich 2020 mit sechs Leuten aus verschiedenen Ländern und unterschiedlichen Ausbildungen zusammen. Während der Corona-Zeit erarbeiteten sie gemeinsam ihr erstes Projekt „Play Dead.“ Bewusst im Kollektiv schufen sie ihre Collage aus Tanz und Akrobatik, ohne einen Regisseur oder Choreografen. Für die Berliner Inszenierung im Chamäleon sind zwei Kunstschaffende zur Gruppe gestoßen. Hier ergänzte und verlängerte die erweiterte Truppe vor Ort das Stück. Bis zum 1. Juni 2025 präsentieren sie es fast täglich – außer montags – im Chamäleon, einem Kabarett, das seit 20 Jahren den Zeitgenössischen Zirkus fördert.
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