Neuer künstlerischer Gesamtleiter
Filipe Portugal übernimmt Tanzfestival in der Klosterkirche Königsfelden
Filipe Portugal choreografiert „Carmen“ in der Klosterkirche Königsfelden
Eine zierliche Tänzerin auf Spitze, ein robuster bärtiger Mann in Flamenco-Schuhen und eine hochgewachsene Frau auf noch höheren High Heels tanzen zusammen einen elektrisierend spannungsvollen Pas de trois. Eine Schlüsselszene in dem „Carmen“-Ballett, das im Rahmen des bis in den Juni laufenden Festivals „Tanz und Kunst Königsfelden 25“ uraufgeführt wurde. Spielort ist die frisch renovierte Klosterkirche Königsfelden im Kanton Aargau, deren Bau schon Anfang des 14.Jahrhundert begonnen hatte.
Die drei so verschieden ausgestatteten Figuren im Pas de trois kennt man aus der Oper „Carmen“ von Georges Bizet (1875). Sie sind hin- und hergerissen zwischen Liebeswahn und Eifersucht, Zuneigung und Hass. Giulia Tonelli – bis vor kurzem beliebte Erste Solistin beim Ballett Zürich und Mittelpunkt im Film „Becoming Giulia“ – tanzt die Carmen, der Flamencotänzer und Gründer eines eigenen Ensembles David Coria deren unglücklichen Liebhaber Don José. Bei der dritten Person handelt es sich – nein, nicht um den Torero Escamillo, sondern um einen weiblichen Superstar namens Escamilla. Filipe Portugal und sein Dramaturg Gregor Acuña-Pohl haben den Mann zur Frau umgedeutet. Die hochgewachsene Clara Thierry jedenfalls verkörpert eine höchst verführerische, elegante Escamilla, der man auch zutraut, dass sie Carmen in ihren Bann zieht.
Spitzentanz, Flamenco, Zeitgenössisches
Giulia Tonelli im geschlitzten orangen Kleid ist zunächst die wild verführerische Carmen aus der Oper, mit lasziven Bewegungen von den Hüften über die Knie bis zu den Zehen bzw. Spitzenschuhen. Sie macht alle Männer verrückt. Auf dem Platz vor der Fabrik, im Gefängnis und später in Lillas Pastias Kneipe umgarnt sie ihren José, den Bauernsohn vom Land, unterwirft sich ihm vorübergehend, spreizt die Beine. Doch seine Eifersucht geht so weit, dass er einen Mitrivalen erwürgt. Später, als Carmen ihre eigene Freiheit sucht und nichts mehr von ihm wissen will, wird ihr Tanz bestimmter. Doch als José sie ersticht, wehrt sie sich nicht.
Flamenco-Tänzer Coria setzt zwar manchmal zu Zapateados-Serien an, den schnell schlagenden Salven der Absätze, und zu zitternden Waden. Doch sein Tanz ist weniger der Folklore verhaftet als der individuellen Charakterisierung dieses José, dem etwas schwerfälligen, aufbrausenden, aber echt liebenden Machos vom Land. Sein Tanz wirkt stark und bewegend. Die beiden Mordszenen sind von der Choreografie allerdings zu knapp bemessen worden.
Filipe Portugal, früherer Solist und angehender Choreograf beim Ballett Zürich, hat letztes Jahr von seiner Vorgängerin Brigitta Luisa Merki („Flamenco en route“) die Leitung des Festivals „Tanz und Kunst Königsfelden“ übernommen. „Carmen“ ist sein erstes Handlungsballett. Es zeichnet sich aus durch die verschiedenen Tanzstile, die er aufeinanderprallen, sich reiben oder in Harmonie aufgehen lässt. Insgesamt 14 Tänzer*innen wirken mit, fast alle haben einen solistischen Auftritt.
Hinter der Ballett-Kreation stecken die Leidenschaft, der Eigenwille und das große Talent vieler Mitwirkenden. Das gilt auch für die Musik. Jonathan Keren hat Melodien und Motive aus Bizets vor 150 Jahren uraufgeführter „Carmen“-Oper übernommen, mit eigenen Kompositionen ergänzt und tanzgerecht gestaltet. Aufsehen erregend die Instrumentation, in der Kirche Königsfelden live gespielt vom Ensemble CHAARTS Chamber Artists unter der Leitung von Andreas Fleck. Er und fünf weitere Cellist*innen sitzen unter den gotischen Arkaden links, ein Perkussionist und eine Perkussionistin rechts. Sie spielen so einschmeichelnd wie mitreissend – meisterhaft.
In den Farben für Liebe und Tod
Die Kostüme (Claudia Binder) sind vorwiegend in Rot und Schwarz gehalten. Rot und Schwarz – das sind die Farben für Liebe und Tod. „L’amour – La mort“ liest denn auch in der Bizet-Oper eine Wahrsagerin aus den Karten, die sie für Carmen gelegt hat. Es handelt sich um eine der vielen Szenen, die im nur Eineinviertelstunden dauernden Ballett nicht direkt aufgenommen werden, aber stimmungsmässig vorhanden sind. Im Ganzen eine schöne, intensive Aufführung.
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