„Level Up & M&M“ von Cie. Amala Dianor

Kunst kann cool

Compagnie Amala Dianor mit dem Doppelabend „Level Up & M&M“ in der Muffathalle München

Energie- und Frischekick – die verbindende Kraft des Tanzes über alle Unterschiede von Herkunft und Stil hinweg

München, 22/06/2025

„Heieiei“, „hoho“ und „let´s go!“: Die jungen Frauen hinter mir wohnen offenbar keiner Vorstellung einer zeitgenössischen Tanz-Kompanie bei, sondern einem Dance-Battle, in dem alle ausgefalleneren Moves kommentiert und die Tänzer*innen lautstark angefeuert werden dürfen. Dass das sonstige Publikum in der Muffathalle, wo die Compagnie Amala Dianor gastiert, vollkommen anders geeicht ist, scheint sie nicht zu kümmern. Doch dieser Wirrwarr von Verhaltens-Codes auf der Zuschauer-Tribüne zeigt, wo man hier gelandet ist: in einem Zwischen-Raum auf halbem Weg zwischen Straße und Kulturtempel, urban und zeitgenössisch, cool und Kunst – in dem zehn Tänzer*innen aus vier Kontinenten den Beweis antreten, dass diese vermeintlichen Gegensatzpaare keine sein müssen.

Zusammengerufen hat sie der französisch-senegalesische Choreograf mit Street Dance-Vergangenheit Amala Dianor, der das Mix und Match liebt und in den USA, in Südafrika, Indien und Frankreich nach jungen Talenten in traditionellen und urbanen Tanzstilen gesucht hat. Selbst der Abend, mit dem die Truppe demnächst unter anderem beim Colours International Dance Festival in Stuttgart (27. und 28. Juni) vorbeikommt, ist ein Mix. Er verbindet das Duett „M&M“ mit einem Ausschnitt aus dem bühnentechnisch aufwendigeren Gruppenstück „Dub“, das personell leicht und zeitlich um etwa die Hälfte auf 35 Minuten reduzierte „Level Up“. 

Und schon „M&M“, mit dem es in München losgeht, ist ein schönes Beispiel für den sanften Clash, den Dianor versucht. Als erste betritt die zeitgenössische Tänzerin Marion Alzieu die Bühne, die in ihrer Compagnie Ma´ selbst künstlerische Grenzgänge betreibt. Ihre messerscharf konturierten Bewegungen scheinen einem inneren Bauplan zu folgen. Klassische wie Hip-Hop-Skills erlauben es ihr, Spannung in isolierte Körperregionen zu schicken. Eine Einladung für Mwendwa Marchand. Die Bewegungen der aus Kenia stammenden Dancehall-Tänzerin wirken enorm durchlässig, aus dem Moment geboren. Das Duett der beiden ist ein freundschaftlicher Flirt, ein Pingpong von Impulsen, mit dem Live-Musiker Awir Leon und seinen puckernden elektronischen Tracks als Dritten im Team.

Performative Kraftmeierei

Was es nicht gibt: Eine Botschaft oder Story, die einen an der Hand durch den Abend führt. Der einzige Botschafter ist hier der Tanz selbst. Und was er für eine Lebensader und Energiequelle ist, zeigt „Level Up“. Jeder und jede kommt hier auf die Bühne mit dem, was er oder sie hat und kann. Barfuß, in Socken, Sneakern oder schwererem Schuhwerk, mit Stilen wie Breaking, Waacking, Krump und Coupé Decalé, mit den Zuckungen des Electro, den schnellen Füßen des südafrikanischen Patsula oder des B-Boying. 

Da ist viel Urban Dance-typisches Testosteron in der Luft und viel performative Kraftmeierei für alle Geschlechter, aber auch Eleganz, Ironie und Verspieltheit. Und das Schaulaufen von Körpersprachen und Persönlichkeiten ist auch ein Melting Pot. Nicht nur, weil Amala Dianor alle immer wieder in Gruppenchoreografien einfängt, es herrscht auch dazwischen ein fröhliches Geben und Nehmen. Klauen: Normal. Kulturelle Aneignung: Kein Thema. Einander aufmerksam beobachten: Sowieso. Auf diesem Tauschmarkt der Stile wird alles hergegeben und schamlos ausprobiert, ganz wie im Netz oder auf den Straßen der internationalen Metropole. Und dennoch bleiben die individuellen Qualitäten sichtbar.

Den Reigen, der teilweise durchaus Battle-Struktur hat, eröffnet Sangram Mukhopadhyay mit der alten nordindischen Technik des Kathak, die am stärksten aus dem Club-Rahmen fällt. Da sind die komplexen Winkel der Arme und Hände, da ist die tiefe Ferse und das laut platschende Aufstampfen des nackten Fußes. Gar nicht so leicht, daran anzuknüpfen. Aber es klappt. Für den Fall, dass keiner des Anderen Sprache spricht und man keine dritte gemeinsame findet, gibt es die Redensart, dass man sich dann eben „mit Händen und Füßen“ verständigt. Es ist ein bisschen wie „Stille Post“ mit dem Körper. Klar, dass dabei auch etwas verloren geht, aber wenn es solchen Spaß macht wie hier … 

Das Publikum, auch der Teil, der nicht auf Anfeuern und Aktivität eingestellt war, lässt sich am Ende nicht lange bitten. Mitklatschen, mittanzen, wenigstens am Platz: Unbedingt! Auch Kinder sind dabei. Diesen kurzen, mitreißenden Energie- und Frischekick dürfen auch Sechsjährige schon genießen. Und auch, wenn es eigentlich sonst um nichts weiter geht, steckt in diesem Abend mindestens ein „My positive One-World-Feeling“. Sollte es auf Verschreibung geben.

 

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