„Tambourines“ von Trajal Harrell. Tanz: Ensemble Schauspielhaus Zürich Dance Ensemble

„Tambourines“ von Trajal Harrell. Tanz: Ensemble Schauspielhaus Zürich Dance Ensemble 

Abschied vom Schauspielhaus Zürich

Ganz neu oder neu einstudiert: Trajal Harrells „Tambourines“, „Monkey off My Back“ und „The Köln Concert“

Postmoderne, Voguing, Butoh und viel Diversity gab's zum Abschied von Trajal Harrell in gleich drei verschiedenen Stücken zu sehen.

Zürich, 06/03/2024

Zu Beginn der Vorstellung von „Tambourines“ werden wir aufgefordert, nach unseren Handys zu greifen und bei Wikipedia den Inhalt von Nathaniel Hawthornes Roman „The Scarlet Letter“ (1850) nachzulesen. Und man erfährt: Der Roman spielt im 17. Jahrhundert in einem strenggläubigen Dorf Neuenglands zu Zeiten des Puritanismus. Hester Prynne hat ein aussereheliches Kind geboren, weigert sich aber, den Namen des Vaters (der Pfarrer war’s!) zu verraten. Zur Strafe wird sie dazu verdammt, jederzeit gut sichtbar ein scharlachrotes „A“ auf der Brust tragen.

Wer frühere Stücke von Trajal Harrell kennt, ist darauf gefasst, dass die Geschichte durch sein Schauspielhaus Zürich Dance Ensemble nicht einfach tänzerisch illustriert wird. Man erinnert sich an „Das Haus von Bernarda Alba“ (2022) nach dem Drama von Federico Garcia Lorca, wo auf der Tanzbühne weder die bigotte Witwe Bernarda noch ihre fünf Töchter erscheinen. Und Schauplatz ist ein Dior-Modesalon. Harrell benutzt solche Buchtitel lediglich als Anknüpfungspunkte für eigene, weit entfernte Assoziationen. 

Als in „Tambourines“ die ersten fünf Tänzer*innen auf die Bühne kommen, sucht man denn auch vergeblich nach einer Person mit einem A (Adulteress/ Ehebrecherin) auf den Kleidern. Ist mit Hester vielleicht die Frau im scharlachroten Jupe gemeint, die das üppige Kraushaar hochgebunden hat, einen Träger ihres Kleides verführerisch über die Schulter gleiten lässt? Nein, sie ist es nicht – ist nicht einmal eine Frau, sondern bei genauerem Hinsehen ein Mann mit Haaren auf der Brust. Auch das keine wirkliche Überraschung mehr. Bei Harrell ist Geschlechts-Zugehörigkeit fliessend und Diversity puncto Ethnie oder Körperbau vorausgesetzt.

Das von Harrell gegründete Dance Ensemble tanzt nun in Fünfergruppen gemäss den Stichworten „Unzucht“, „Erziehung“ und „Feier“, zu einer Musikcollage mit den Angaben Allegro, Moderato und Andante. Für den Soundtrack zeichnet Harrell nicht allein verantwortlich, wohl aber für alles andere: Choreografie, Regie, Bühne (diesmal karg), Kostüme (reichlich und kunterbunt). Am Anfang tanzt er auch selber mit.

Hinweise auf „The Scarlet Letter“ sind also rar – und wenn, in der Durchführung eher ins Gegenteil gekehrt. In „Erziehung“ werden wir zwar in ein Nonnenkloster samt strenger Lehrmeisterin versetzt, aber am Schluss ziehen die Novizinnen ihre Vorgesetzte vergnügt nach draußen zum Tanz. Dazu betörende Musik mit dem Countertenor Bejun Mehta. In „Feier“ geht es schließlich salopp-locker zu und her, unablässig werden Kleidungsstücke gewechselt, abenteuerlich kombiniert und sich ihrer entledigt.

Warum Harrell das Schauspielhaus verlassen muss

„Tambourines“ war die letzte Produktion des Schauspielhaus Zürich Dance Ensembles. Der Vertrag des Züricher Schauspielhauses mit seinen Intendanten Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg wurde nämlich nicht verlängert. Zu viel Diversity, zu wenig Rücksicht auf das bürgerliche Stammpublikum – so lautet das Verdikt. Mit den beiden Chefs verlieren auch Harrell, einer von acht Hausregisseuren, und seine Company ihr Engagement. 

Der Afroamerikaner Harrell, 1973 im konservativen US-Bundesstaat Georgia aufgewachsen, anschließend als freischaffender Tänzer und Choreograf vor allem in New York und Paris tätig, kam 2019 nach Zürich. Hier hat er sechs Uraufführungen gestemmt und eine eigentliche Fan-Gemeinde gewonnen. Zu seinem Abschied werden gegenwärtig neben „Tambourines“ noch einmal zwei seiner eindrücklichsten Produktionen aufgeführt: „Monkey off My Back or the Cat’s Meow“ (2022) und „The Köln Concert“ (2020).

Faszinierende Modeschau mit ernsten Einschlägen

„Monkey off My Back“ gleicht einer riesigen Modeschau. Imaginär eröffnet wird sie von Anna Wintour, der Chefin der Vogue-Zeitschrift, vertreten durch Trajal Harrell, der durch einen Dritten vertreten wird usw. Lustig. Zwei Stunden lang reihen sich glamouröse Auftritte auf dem Catwalk aneinander; dieser zieht sich der Länge nach durch die Schiffbau-Halle, der zweiten Spielstätte des Schauspielhauses. Mit dauerndem Kostümwechsel, Tempowechsel, Stimmungswechsel. 17 Personen wirken mit – sieben Tänzer*innen und zehn Schaupieler*innen - wobei nicht gesagt wird, wer welcher Kategorie angehört. Warum eigentlich nicht? Jedenfalls überbieten sie sich mit ihren Variationen von Laufsteg-Schritten, Kleider-Kombinationen, Körperhaltungen – ein ständiges Vergnügen fürs Publikum. Getanzt wird auf nackten Füßen, in Sneakers oder High Heels.

Doch es gibt auch ernste Szenen. Manchmal knickt jemand ein, verfällt in Grimassen, zeigt Beeinträchtigungen und Störmomente. Das ist dann die Phase, wo die Bewegungen an Butoh erinnern, den japanischen Tanz der Dunkelheit und des Todes. Als weiteres Stilelement wird von Harrell ausdrücklich das Voguing genannt: Tanzformen und Rituale der queeren Community, einer bunten Szene, wie sie sich in den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts in Manhattans Untergrund entwickelte. Alles in allem bietet „Monkey off My Back“ einen hinreißenden, parodistischen, zuweilen auch tieftraurigen Mix. Intensiv, zuweilen sogar in Trance versetzend.

In „The Köln Concert“, der ersten Produktion des Schauspielhaus Zürich Dance Ensembles, ist manches schon da: Die Modeschau, der Kleiderwechsel, der Tanz ohne Berührungen untereinander. Im Gegensatz zu den oben besprochenen Stücken weiß man von Anfang an, was man hören wird: Zuerst vier Songs der Kanadierin Joni Mitchell, dann den ersten Teil des berühmten, 1975 in Köln aufgezeichneten improvisierten Klavierkonzerts des Jazz-Pianisten Keith Jarrett. Zusammen lediglich 50 Minuten lang. Besonders der Tanz zu Jarretts Musik ist von geheimnisvoller Schönheit. Die sieben Tänzer*innen, Harrell inklusive, alle in schwarze Tücher gehüllt, lassen im Halbdunkel hauptsächlich ihre Arme und Hände tanzen, ein gespenstisches Ballett – und insgesamt eine Augen- und Ohrenweide. 

 

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