Tanzbiennale Heidelberg: „Hope Hunt and the Ascension into Lazarus“ von Oona Doherty

Private Dancers und coole Moves

Die Tanzbiennale Heidelberg macht Ernst mit dem Motto „dance breaking free“

Nachdem die vorige Biennale unter die Corona-Räder geraten war, kehrt der Tanz nun mit Macht in die Neckarstadt zurück. Die TANZallianz, ein Zusammenschluss der Städtischen Bühne - vertreten durch Intendant Holger Schultze und Dancecompany-Leiter Iván Pérez mit dem UnterwegsTheater aus der freien Szene mit Künstlerischem Leiter Bernhard Fauser und Choreografin Jai Gonzales – stemmt eine Biennale mit so vielen Terminen wie noch nie.

Auf den Straßen von Belfast geht es genauso zu wie überall, wo junge Männer aus dem gesellschaftlichen Randbereich mit wenig Chancen und latenter Wut für Probleme in den Nachrichten gut sind. Ausgerechnet dieser Gruppe, die man eigentlich weit weg von der Tanzbühne verortet, widmet die irische Choreografin Oona Doherty ein fulminantes Stück: „Hope Hunt and the Ascension into Lazarus“. Die Performance erwies sich als ideales Eröffnungsstück der 5. Heidelberger Tanzbiennale, die insgesamt neun Tage lang so ziemlich sämtliche Bühnen der Stadt Heidelberg mit Tanz bespielt.

Nachdem die vorige Biennale unter die Corona-Räder geraten war, kehrt der Tanz nun mit Macht (und kräftiger Finanzspritze von Stadt und Land sowie der Manfred-Lautenschläger-Stiftung) in die Neckarstadt zurück. Die TANZallianz, ein Zusammenschluss der Städtischen Bühne - vertreten durch Intendant Holger Schultze und Dancecompany-Leiter Iván Pérez mit dem UnterwegsTheater aus der freien Szene mit Künstlerischem Leiter Bernhard Fauser und Choreografin Jai Gonzales – stemmt eine Biennale mit so vielen Terminen wie noch nie: Abendveranstaltungen auf den großen, Vorabend-Termine auf den kleinen Bühnen und ein umfangreiches Rahmenprogramm.

Für das Auftaktstück konnten Fauser und Gonzales eine ideale Location bieten: das ehemalige Autohaus gegenüber der Hebelhalle. Es hat längst seine Feuerprobe als außerordentlicher Kunstraum bestanden und bot eine ideale Kulisse für den Anfang des Stücks, in dem Tänzerin Sati Veyrunes aus dem Kofferraum eines stilechten Working-Class-Fahrzeugs purzelt und sich mit Techno, einschlägigem Outfit, aggressiven Wortfetzen und den Bewegungen einer immer auf der Hut befindlichen Großstadtkatze unverkennbar als Stellvertreterin der Angry Young Men ausweist. Sie treibt das Publikum zornig und zackig in die Hebelhalle, wo die originelle choreografische Erkundung weitergeht. Coole Moves erzählen von einem Lebensgefühl, in dem es keine Sicherheit gibt, und Sprache wird zum Ausdrucksmittel eines beständigen Existenzkampfes. In der Wiederholungsschleife wird ‚Scheiße‘ fast unmerklich zu ‚Shellsuit‘ (dem knisternden Kampfanzug der Subkultur) und endet in beschwörenden ‚Chelsea‘-Rufen der einschlägigen Fußballfans. Den Blick der Choreografin könnte man vielleicht als schonungslose Liebe bezeichnen. Aus genau dieser Perspektive feiert im zweiten, surrealen Teil des Stücks ein totes Opfer seine wundersame Auferstehung - unterlegt mit einem Klangmix aus Straßengewalt und Renaissance-Choral.

Der letzte Teil des Abends hätte gegensätzlicher nicht sein können. Ganz im eigenen Gefühlskosmos eingebunden, erzählen die beiden jungen Mitglieder des spanischen Tänzerkollektiv „Quabulum“ in ihrem Duo „La medida de nos ha dividir“ (Die Maßnahme, die uns spaltet) von einer nur zu bekannten Erfahrung: dem fast rauschhaften Zustand absoluter Zweisamkeit, von deren Aufbrechen und den verzweifelten Versuchen, verlorene Nähe wieder gutzumachen. Aber die Bewegungssprache, die Diego Pazó und Lucía Burguete für ihr Duo gefunden haben, verleiht dem Thema viel mehr als einen neuen Anstrich. Sensationelle Artistik stellt sich dabei in den Dienst intensiver Gefühle: Wie ein verzweifelter Fisch auf dem Trockenen schwingt Lucía Burguete ihren Körper aus der Bauchlage in eine Art spiegelverkehrte Kerze, in der ihr Körper nur von Kinn und Hals abgestützt wird – eigentlich eine anatomische Unmöglichkeit, aber hier ganz selbstverständlich eingebunden in die ganz neue Erzählung eines altbekannten Dilemmas.

Immer für Verblüffung gut ist der Japaner Shumpei Nemoto, für den das Heidelberger Choreografische Centrum bereits als Karrieren-Beschleuniger gedient hat. Er stellt den Anspruch, alle Elemente einer Performance nicht nur im Alleingang zu kontrollieren, sondern auch aufs Raffinierteste zu verknüpfen: Bühne, Tanz, Musik, Licht, Geräusche, Projektionen. Seine Arbeiten sind stets Liveexperimente, denen er sich gelassen aussetzt – so auch in „Night Sea, Island Wave(s)“. Hier spielte er mit den Illusionen von Wasserwellen in der Dunkelheit, wo es zum Beispiel schien, als könnten die Töne das Wasser regelrecht falten oder Lichtpunkte in der Dunkelheit die Gesetze der Schwerkraft außer Kraft setzen.  

Konzepttanz leidet oft an einem Überhang von Konzept gegenüber dem Tanz; nicht so in „One, one, one“ von Ioannis Manafounis. Hier müssen geneigte Besucher*innen auf einem von vier Stühlen Platz nehmen. Erst dann tanzt einer der vier Protagonisten speziell für seinen Zuschauer – solange der Fokus bleibt und der Augenkontakt nicht abreißt. So viel freier Tanz in solcher Nähe zog das Publikum mehr und mehr in den Sog der Stühle.  

Im Städtischen Theater war als erste Meg Stuart mit „Damaged Goods“ zu Gast – der Company-Name ist Programm. Ihr Stück „Violet“ („Veilchen“ von 2012) erzählt im Gegensatz zum sanften Stücktitel von heftig verwundeten Seelen und gewinnt seinen Sog aus der akustischen Überwältigung durch die Live-Musik von Brendan Dougherty.
 

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