"Double Side" vom Aterballetto,"With Droopng Wings" von Daniéle Desnoyers

Tief dunkel und leuchtend hell

Das Aterballetto zeigt „Double Side“ bei den Ludwigshafener Festspielen

Der neue Tanzabend des Aterballetto „Double Side“, bei den tanzgeprägten, von Eric Gauthier kuratierten Ludwigshafener Festspielen als deutsche Erstaufführung gezeigt, wird seinem Titel mehr als nur oberflächlich gerecht.

Der zweiteilige Abend  „Double Side“ setzt scharfkantige Gegensätze, die dennoch stimmig zum Ganzen werden. Für beide Stücke gibt es Streichermusik live auf der Bühne, und es war eine kluge Entscheidung, Bühne und Lichtdesign in denselben Händen zu lassen, nämlich denen von Fabiana Piccoli. Verbindendes Gestaltungselement waren in beiden Stücken bühnenhoch gespannte elastische Schnüre – die einmal nur Akzente auf der leeren Bühne setzten, im anderen Fall einen lichten dreieckigen Raum abgrenzten, in dem die Musiker agierten.

Für das erste Stück hatte sich der hierzulande noch als Geheimtipp geltende kubanische Choreograf Norge Cedeño Raffo ein musikalisches Schwergewicht mit existentieller Thematik ausgesucht: „Stabat Mater“ von Arvo Pärts. Es geht um nichts Geringeres als Tod und Leben, Verzweiflung und Trost. Die kompositorische Anlage kreist mit einem Streichertrio und drei Sänger*innen um die magische Zahl Drei. Ihnen hat der Choreograf drei Tänzer*innen (zwei Frauen und einen Mann) zugesellt, und auch durch die Gruppierung der schwarz gekleideten Gruppen entsteht immer wieder ein optischer Dreiklang.

Für Beiläufigkeiten lässt diese Musik keinen Raum, und der Kubaner – dessen Arbeit man die eigene Erfahrung als Vorzeigetänzer bei der ersten Kompanie für zeitgenössischen Tanz in Havanna anmerkt – mutet und traut seinen drei Solisten ganz viel Grundsätzliches zu. Der einzige verspielte Moment ist der Anfang, in dem ein am Boden liegender Tänzer den Rauch einer unsichtbaren Zigarette (vielleicht auch Zigarre?) ausstößt. Aber die Musik des tiefreligiösen Komponisten, der zeitlebens auf der Suche nach einer neuen überzeugenden Einfachheit war, macht ganz schnell klar: Hier tönt das Schicksal selbst. Für die archaischen Themen hat der Kubaner eine schlichte und kraftvolle Bewegungssprache gefunden, die seine drei Protagonist*innen nicht nur immer wieder zu Boden zwingt, sondern auch kurze Momente lichtdurchfluteter Hoffnung erleben lässt – in einer anrührenden, zutiefst menschlichen Gemeinsamkeit.

Für den hellen Gegenpart des Abends zeichnet die kanadische Erfolgschoreografin Daniéle Desnoyers verantwortlich. Sie forderte den italienischen Komponisten Federico Gon mit dem Thema ‚Barockmusik‘ heraus – und der lieferte eine witzige, glänzende Neukomposition von Stücken Henry Purcells. Verbindendes Element blieben die Streicher – dieses Mal in Quartett-Besetzung – und die drei Singstimmen mit markantem Countertenor. Aber dem barocken Glanz verpasste er etliche zeitgenössische Kratzer: Mal legte er einen gefälligen Beat unter, mal gönnte er den Überleitungen auch schräge Töne.

Sich dem Reiz eines höfisch geprägten Reigens hinzugeben, hatte auch die Choreografin nicht im Sinn. Die acht vergnügten, in bunte, fließende Anzüge mit weiten Hosen auf Socken agierenden Zeitgenossen auf der Bühne schienen vielmehr die Musik erst hervorzulocken. Beharrliches Fersenklopfen, Laufen auf der Stelle und später atemlos im Kreis – Desnoyers beschwört die einfachen, grundlegenden Elemente des Tanzes. Und wenn auch die neubarocken Klänge immer wieder zu fantastischen Unisono-Parts verführen – es sind die kreativen Ausbrüche Einzelner, von denen sich die Musik quasi herausfordern lässt. Die glänzende, hoffnungsvolle Ansage an die Kraft der Individualität wurde in Ludwigshafen mit Begeisterung aufgenommen.  

Zwanzig Jahr lang hat Mauro Bigonzetti das Aterballetto künstlerisch geprägt und mit seinen unerhört publikumswirksamen Stücken dazu beigetragen, Italiens einziges mit öffentlichen Geldern finanziertes Ballett ohne feste Spielstätte zum Kulturexportartikel Nummer Eins werden zu lassen. Seit diesen goldenen Zeiten war die Vorzeigecompany regelmäßig in Ludwigshafen zu Gast. Ihr derzeitiger Leiter, Gigi Christoforetti, ist kein Choreograf, sondern ausgewiesener Experte für zeitgenössische Theaterformen. Das Aterballetto seiner Prägung schaffte zum Abschluss der Ludwigshafener Festspiele (die als Ko-Produzent agierten) mühelos den Spagat zwischen aktueller Zeitgenossenschaft und Zustimmung des Publikums.
 

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