"Afroconfusionist" von Israel Akpan Sunday

Herausfordende Vielschichtigkeit

Israel Akpan Sundays „Afroconfusionist“ im Hamburger Sprechwerk

Eine komplexe interdisziplinäre Montage zu den verschiedenen Bedeutungsebenen des Begriffs „Afro“ fordert das Publikum heraus und erweitert die eigene Wahrnehmung.

Hamburg, 05/05/2022

Die Anfangsszene von Israel Akpan Sundays Tanzperformance „Afroconfusionist“ könnte auf den ersten Blick unaufgeregter und allgegenwärtiger nicht sein. Sechs Performer*innen treten auf und nehmen auf den Hockern der links auf der Bühne aufgebauten Bar Platz. Ausgelassene Gespräche, Lachen, mehrmaliges Anstoßen. Ein Radio spielt im Hintergrund einen fröhlichen Upbeat-Song, die Performer*innen stimmen mit ein. Kurz wechselt der Sender, das Wort „Ukraine“ ist gerade noch auszumachen, als schon wieder weitergeschaltet wird und der nächste heitere Song die Nachrichtenmeldung verstummen lässt. Doch dann plötzlich ein Black, der die unbeschwerte Stimmung beendet und überleitet in eine komplexe, die verschiedenen Ebenen verschränkende Performance.

Es ist diese Einstiegssequenz, die dem Publikum gleich zu Beginn einen Spiegel vorhält. Wie schnell wir in unserer unbeschwerten, privilegierten Lebensrealität dazu tendieren, die Probleme anderer weniger privilegierter Menschen zu vergessen, zu verdrängen. Dass sich diese Lebenshaltung nicht alle leisten können, zeigt eindrucksvoll eine im Laufe des Abends immer wiederkehrende Audio-, bisweilen auch Videomontage mit Ausschnitten verschiedener Reden afroamerikanischer Sprecher*innen über die Generationen hinweg, darunter prominente Namen wie Martin Luther King und Amanda Gorman. Der Kampf gegen Rassismus, aber auch Misappropriation (Fehlverwendung) afrikanischer Kulturen – ein Wort, das immer wieder im Bühnenraum „steht“ – ist – so wird deutlich – immer noch brandaktuell.

Die etwa 60-minütige Performance setzt sich mit dem Begriff „Afro“ aus seinen vielschichtigen Bedeutungsebenen auseinander. Der Choreograf, Tänzer und Musiker Israel Akpan Sunday, der mit seinen fordernden politischen Abenden sowohl in Hamburg als auch in Lagos – der größten Stadt seiner nigerianischen Heimat – arbeitet, lässt in „Afroconfusionist“ vier Performer*innen und zwei Musiker aus verschiedenen kulturellen Kontexten aufeinandertreffen und in der Verschmelzung von Bewegung, Kostümen, Live-Musik, Audioschnipseln und Videoeinspielungen in einen künstlerischen Austausch miteinander treten.

Wie der Teil des Titels „confusionist“ verspricht, ist das Ziel des Abends bisweilen die Verwirrung, die Überforderung. Das Publikum sieht sich mit einer gigantischen Menge unterschiedlicher Zeichen konfrontiert, deren Vielschichtigkeit und Komplexität eine kurze Besprechung wie dieser Text durch einen Outsider afrikanischer Kulturen überhaupt nicht gerecht werden könnte. Die fragmentarische Aufarbeitung politischer und kultureller Referenzen durch Tanz, Musik und Sprache erfolgt in einer gezielt kontrapunktierten Überlagerung, in der sich die Ebenen nicht ergänzen, sondern vielmehr Unstimmigkeiten offenbaren, das Publikum herausfordern.

Immer wieder gibt es aber auch leichte Momente, wenn etwa Israel Akpan Sunday und der Performer Shah-Mo Ferkouzad Darouiche einen rhythmischen Sprechchor anstimmen, dessen englischsprachiger Textteil als „don’t tell me nonsense“ auszumachen ist. Die beiden Performer stacheln sich gegenseitig an, bis die ausgelassene, energetische Stimmung schließlich auf die Performerinnen Tirza Ben Zvi und Nana Anine Jorgensen überschwappt und sie mit einsteigen.

Einzig bleibt am Ende des fordernden, aber den eigenen Horizont erweiternden Abends der Wunsch, er wäre noch ein bisschen gestrafft worden. Durch die Auslassung einer der weniger genutzten Ebenen – wie beispielsweise der der Videoprojektion – und des Streichens weniger Sequenzen hätte der komplexe „Afroconfusionist“ noch einen etwas stärkeren Fluss entwickeln können. Durch ein starkes Schlussbild, in der zwei Performer*innen ihre reglosen Kolleg*innen langsam von der Bühne tragen – vielleicht ein Symbol für die Opfer rassistischer Strukturen – hinterlässt der Abend jedoch unabhängig davon einen bleibenden Eindruck.

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