"Der Widerspenstigen Zähmung" von John Cranko. Tanz: Ensemble

"Der Widerspenstigen Zähmung" von John Cranko. Tanz: Ensemble

Die Widerspenstige mit Charme

Wiederaufnahme von John Crankos "Der Widerspenstigen Zähmung" am Stuttgarter Ballett

In der Wiederaufnahme von John Crankos Ballett nach über 50 Jahren begeistert das Stuttgarter Ballett mit höchst bemerkenswerten Rollendebüts.

Stuttgart, 11/05/2022

Ein Ballett nach Shakespeare, ein heiteres dazu, geschaffen von John Cranko, drei gute Gründe dabei zu sein, wenn das Stuttgarter Ballett diesen Klassiker wieder aufnimmt. Vorweg, diese Aufführung kam einer Premiere gleich, volles Haus, tolle Stimmung und da sind sie auch wieder, die Unentwegten vor dem Theater mit ihren Schildern oder Zetteln: Suche eine Karte.

Bei Shakespeare sei das Komische traurig und das Ernste zum Lachen, stellte der Dichter Gottfried Benn fest. Die Komödie „Die Zähmung der Widerspenstigen“, 1594/95 geschrieben, ist eine Dichtung Shakespeares auf der Grenze. Auf der einen Seite zappeln sie noch, diese herrlichen Typen des italienischen Volkstheaters, hinter ihnen wachsen die Charaktere der Komödie. Seine Hauptpersonen, Katharina und Petruccio, eben jene „Widerspenstige“ und deren angeblicher „Zähmer“ erhalten Persönlichkeit und Poesie, was aber im letztlich gegenseitigen Prozess der sich annähernden „Zähmung“ auch schon mal skurrile Momente der Groteske annehmen kann.

Shakespeares Komödie wurde auch als Oper komponiert, am Broadway als Musical „Kiss me, Kate“ ein Renner und in der Choreografie von John Cranko, uraufgeführt 1969 beim Stuttgarter Ballett, mit der von Kurt-Heinz Stolze nach Scarlatti arrangierten Musik, zu einem höchst erfolgreichen Ballett, wo es ja um die Heiterkeit, um den Humor ansonsten so gut nicht bestellt ist. Aber auf Crankos Deutung – das wird regelrecht überraschend anlässlich der Stuttgarter Wiederaufnehme nach über 50 Jahren klar – trifft es zu, was es bedeutet, wenn das Komische traurig und das Traurige komisch ist.

Und diese „Zähmung“ ist eben nicht - so wie es auf den ersten Blick erscheinen mag - eine frauenfeindlich, männlich-dominante Sache. Dass dieser Petruccio als Grobian erscheint, ist ein Trick der Komödie, es macht doch sofort „Klick“ bei ihm, wenn er Katharina zum ersten Mal begegnet. Nur bei ihr klickt es noch nicht, wenn dann aber doch, dann meint man es hören zu können. Nur kann sie eben nicht – und auch das ist wieder so ein Trick des Meisters Shakespeare – auf Anhieb über ihren Schatten springen, was für die Kraft ihrer Persönlichkeit steht.

Wie immer bei Shakespeare, auf die Zwischentöne gilt es zu hören. Und bei Cranko, der die Techniken des klassischen Ballettes genial in die Kunst der getanzten Erzählung überführt hat, gilt es genau hinzusehen, wie zunächst diese so wunderbar von Anna Osdacenko getanzte Katharina wohl manchmal selbst überrascht ist, wenn die Momente ihres Charmes diesen leisen Hauch des Humors über die Eskapaden ihrer Widerspenstigkeit wehen lassen. Und eigentlich ist es ja eher ein Zufall, denn diese sonderbare Trias abgedrehter Freier hat es auf ihre jüngere Schwester Bianka abgesehen, bis der Vater sein Machtwort spricht, denn er will die Ältere unter die sprichwörtliche Haube bringen. Da kommt Petruccio ins Spiel, der gerade von Elisa Ghisalberti und Alicia Torronteras, die offensichtlich als gerissene Freudenmädchen bei ihren Debüts dieser Rollen großen Spaß haben, bis auf die Unterhose von verfechtbaren Lasten des Wohlstandes befreit wurde. Und dann, als Freier, wieder mit Hosen in voller Pracht, gibt David Moore mit seinem Rollendebüt einen herrlichen Macho, der ebenfalls selbst überrascht ist, wenn doch sein eigentlicher Charme durchbricht, wenn sein Humor das eigentlich zum Zwecke der Liebe eingesetzte Zähmungsverhalten in die Positionen der Lächerlichkeit führt.

Tänzerisch und darstellerisch ist dann diese Art der komödiantischen Konkurrenz immer wieder die kreative Anregung für spannendste Momente zwischen Nähe und Distanz, zwischen Traum und Wahrheit. Und wenn dann in einem wunderbaren, ganz nach Crankos Art, narrativen Pas de deux, ganz befreit von allen Präsentationen technischen Könnens, sich beide so nahe kommen, wenn er sie erhebt, sie ihn in wunderbarste Positionen führt, sie einander stützen und aufhelfen, dann erzählt der Tanz mehr als es die Worte auch nur annähernd könnten.

Und natürlich gehören auch die Szenen schriller Groteske dazu, insbesondere bei den Auftritten dieser sonderbaren Freier, die sich um Katharinas jüngere Schwester Bianka bemühen: Louis Stins als Gremio, Matteo Micci als Hortensio und - ebenfalls im großartigen Rollendebüt - Henrik Erikson als Lucentio. Er wird die Ehre mit Bianka eingehen - ebenfalls mit bezauberndem Rollendebüt Mackenzie Brown in dieser so anspruchsvollen Rolle. Aber während die Verbindung dieser charmanten „Widerspenstigen“ und des am Ende so heiteren, wie gütigen und gelassenen Machos unter schönsten Sternen steht, ziehen für Bianka und Lucentio eher dunkle Wolken auf. Was bei ersteren keiner ahnte, trifft zu, was bei letzteren so rosig begann, wird dornig. Wir sind bei Shakespeare. Vielleicht finden sie doch auch wieder zusammen, diese fröhlichen Freier der Bianka, Louis Stins, Henrik Erikson und Matteo Miccini, diese herrlichen Spaßvögel auf Sprungfedern.

Die originale Ausstattung von Elisabeth Dalton ist von beeindruckender optischer Wirkung. Die Musik ist natürlich in der Bearbeitung dem Geist der Zeit ihrer Entstehung verpflichtet, klingt aber eben auch in Dimensionen des Klanges hervor, die zwar nicht bis zu den Zeiten Shakespeares, aber doch über 300 Jahre in die Vergangenheit reichen. Und was da der Tanz in diesem Ballett möglich macht, das ist von zeitübergreifendem Atem, im tänzerischen und musikalischen Zusammenklang der Energie zwischen Widerspruch und Zuspruch. Das Ballett macht es möglich, den Spaß auf die Spitze zu treiben, und somit stellen die Stuttgarter mal wieder unter Beweis: diese Kompanie ist ein Ballett der Spitzenklasse.

 

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