Wohlfühlen unerwünscht!?

Tanz in der zweiten Woche des Münchner Spielart Festivals

Von der Kritik an der Ausstellung philippinischer Entertainer*innen in Disneys Vergnügungsparks, einer Reise durch das Leben einer chinesischen Choreografin und Italiener*innen, die sich der Tradition des Schuhplattler annähern.

München, 05/11/2021
Am kommenden Wochenende geht die diesjährige Ausgabe des Münchner Spielart Festivals zu Ende. Anders als die anderen beiden großen Festivals der Landeshauptstadt, DANCE für zeitgenössischen Tanz und die Münchner Biennale für neues Musiktheater, hatte die langjährige künstlerische Leiterin Sophie Becker das große Glück, die meisten ihrer ausgewählten Produktionen wieder in vollen Häusern vor Live-Publikum zeigen zu können. Neben einem diversen Angebot an zeitgenössischen und experimentellen Theater- und Performancestücken wurden in diesem Jahr auch etliche Tanzproduktionen dargeboten.

Eines der Highlights darunter ist definitiv Eisa Jocsons „Manila Zoo.“ Die philippinische Choreografin und Tänzerin – in Deutschland schon ziemlich bekannt – beschäftigt sich in ihrer Trilogie „Happyland“ mit der Körperpolitik der Unterhaltungs- und Dienstleistungsindustrie, insbesondere mit dem Disney-Imperium, in dem philippinische Entertainer*innen eine besondere Rolle spielen. Der erste Teil „Princess“, in dem zwei Performer*innen, gekleidet in Schneewittchen-Kostüme, die ausbeuterischen Umstände für und den exotisierenden Blick auf die Figurendarsteller*innen in Disney-Themenparks entlarven, wurde 2018 zur Tanzplattform in Essen eingeladen und war auch dort eines der konzeptionellen und künstlerischen Highlights.

Im dritten und letzten Teil der Trilogie „Manila Zoo“, der nun zu Spielart eingeladen wurde, problematisiert Eisa Jocson die Darstellung von Tieren in Vergnügungsparks und Shows des Disney-Konzerns, die von philippinischen Entertainer*innen ausgeführt werden. Dabei spannt sie einen Bogen von der Ironisierung des Spektakels nach US-amerikanischem Vorbild bis hin zur Umkehrung des begaffenden Blicks auf das Publikum.

„Manila Zoo“ wird als Zoom-Performance live im HochX-Theater gezeigt. Die fünf Performer*innen – alle in ihren privaten Wohnungen – ziehen sich zu Beginn des Abends vollständig aus und beginnen, sich in animalische Posen zu werfen, sich der Kamera anzubiedern und dazu tierische Geräusche zu machen – mal wild und angriffslustig, mal wimmernd und leidend, mal anzüglich und lasziv. Das steigern sie über 15 Minuten bis hin zur völligen Unerträglichkeit, in der die Perversion des Betrachtens von gefangenen Geschöpfen zur Belustigung offenbart wird. Die Kritik an dieser Art des Spektakels wird auch überdeutlich, wenn einer der Performer*innen wie als Tiertrainer die anderen als faszinierende Kreaturen vorstellt und gleichzeitige der Blick in die tiefsten Privatsphären der Performer*innen diesen Moment als äußerst unangenehm erscheinen lässt.

Die Kritik an diesem exotisierenden Blick offenbart sich zwar schnell, Eisa Jocson bedient sich aber im Laufe des Abends zweier genialer Kniffe, die die Unberechenbarkeit der Produktion kontinuierlich erhalten. So wird in der Mitte des Stücks plötzlich das Publikum mit auf den Bildschirm projiziert und von den Performer*innen direkt angesprochen. Die Kamera fährt über die Zuschauer*innen und zoomt dabei immer wieder unangenehm nah an einzelne Personen heran. Der gaffende Blick wird umgekehrt und spätestens, wenn die Performer*innen dann auch noch dazu auffordern, sich auf die Bühne zu begeben, Fragen zu stellen oder später gemeinsam animalische Geräusche zu machen, fühlt man sich dem Blick der anderen vollkommen ausgeliefert.

Einer der stärksten Momente geschieht jedoch ganz zum Schluss, nachdem die Performance eigentlich schon vorbei ist. Die Performer*innen haben noch einmal in ihre hochintensive und beinahe unerträgliche tierische Darbietung gefunden, die Projektion ist schwarz und das Publikum möchte aufatmen und sich in den erleichternden Applaus flüchten. Allerdings werden die fünf Performer*innen dann noch einmal eingeblendet: emotionslos, ja fast unerbittlich gucken sie in die Kamera, keine Regung von Freude über den Applaus, der infolge dessen schnell abebbt. Die Begeisterung der westlichen Zuschauer*innen über die Darbietung der philippinischen Performer*innen wird ihnen nicht zugestanden. Eine schöne Übertragung aus dem Stück in die Realität!

Weitaus ruhiger und intimer, dabei aber nicht weniger gesellschaftskritisch zeigt sich Wen Huis Arbeit „I am 60“, in der die chinesische Choreografin inspiriert von starken Frauenfiguren aus Film, Gesellschaft und ihrem privaten Umfeld ihr Leben reflektiert. In einem multimedialen Mix aus Filmsequenzen, Fotos, Interviews, Schrift und Musik geistert Wen Hui, gekleidet in eine weiße Bluse und eine weite braune Stoffhose, durch das Geflecht an Erinnerungen, stets mit langsamen, expressiven Posen, Armbewegungen und Krümmungen. Dabei reflektiert sie über die Frauenbewegungen Chinas in den 1930er-Jahren und heute und reist durch die Geschichten ihrer Mutter und ihrer selbst: Ein unglaublich lyrischer Abend mit wunderschönen Bildern, insbesondere in einem Moment, wenn Wen Hui unter einem vom Wind bewegten Vorhang tanzt. Einzig würde man sich manchmal einen größeren energetischen Bogen wünschen. Außer einer Filmsequenz, in der Wen Hui und ihre Mutter zu einem Upbeat-Song mit den Lyrics „People have the power“ die Crosstrainer auf einem Spielplatz benutzen (sh. Foto), ist „I am 60“ geprägt von Stille, die manchmal ein gewisses Maß an Abwechslung vermissen lässt.

Eintönig ist dagegen Alessandro Sciarronis Produktion „Folk-S – Will You Still Love Me Tomorrow?“, die sich mit dem Volkstanz Schuhplattler aus Bayern und Tirol beschäftigt. Zu Beginn des Abends angekündigt wird eine Versuchsanordnung, in der sich die Gruppe aus Schauspieler*innen und Tänzer*innen die Tanzform aneignet und so lange ausführt, bis niemand mehr im Publikum und/oder auf der Bühne an der Performance teilnimmt. Was dann folgt, ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Durchhalte-Performance. Zwar besticht die Gruppe durch die präzise ausgeführten Schuhplattler-Bewegungen, die sie im exakten Rhythmus und in verschiedenen Formationen ausführen, allerdings verharren sie zu einem Großteil des Stücks in ein und demselben Bewegungsmuster.

Größtenteils in der Stille und nur manchmal zu tragenden elektronischen Sounds getanzt, äußert sich ein wenig der Wunsch, die Gruppe würde sich der eigentlichen Kultur des Schuhplattler stärker annähern, sie vielleicht noch stärker brechen oder auf den Akt der Aneignung eingehen. So bleibt nur, dass zunächst sechs Performer*innen, in kurzärmlige und -beinige Sportklamotten gekleidet, eine Bewegungsabfolge mit wenigen Variationen zu verschiedenen Soundtracks 90 Minuten lang abarbeitet. Und leider wird auch die Versuchsanordnung zwischen Publikum und Performer*innen nicht klar genug. Das nach und nach Abgehen der einzelnen Performer*innen, das für das Publikum als Einladung dienen soll, auch den Saal zu verlassen, wenn sie es nicht mehr aushalten, wirkt entgegen der Ankündigung letztlich doch geplant und inszeniert, weshalb fast alle Zuschauer*innen das Ende der Performance abwarten und nach einem dann doch etwas furioseren und auch humoristischen Finale durch die beiden übrigen Performer (sie schuhplatteln zu Rihannas Blues-Nummer „Love on the Brain“) frenetisch applaudieren. Anders als in „Manila Zoo“ wird der Jubel zur eigenen Erleichterung hier zugelassen. Der atmosphärische Unterschied könnte kaum größer sein.

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