„Ich hab dich gern ohne Worte“
Bühnen- und Kostümdesigner Peter Pabst widmet sich in seinen neuen Installationen „Vorsichtshalber vorsichtig“ im Skulpturenpark Waldfrieden dem Nachlass Pina Bauschs
Bochum 1978. Pina Bausch sitzt in verwaschenen Jeans und Canvasschuhen auf einem Sessel, ihr Gesicht hat sie in die weit gespreizten Finger gestützt. Sie lächelt. Neben ihr lehnt ein mehrere Meter langer Spiegel. In ihm vervielfältigen sechs Tänzer*innen Bauschs Geste. Die Fotografie stammt aus dem Probenprozess zu „Er nimmt sie an der Hand und führt sie in das Schloß, die anderen folgen“. Blättert man weiter, folgt darauf das Zitat „Wir spielen uns selber, wir sind das Stück.“ (90-94).
So sind jedem der Kapitel in Gabriele Kleins Buch Fotos und Zitate vorangestellt, die zwischen künstlerischer und wissenschaftlicher Perspektive interagieren, und auf die reiche, aber auch „schwierige Quellenlage“ (11) von Pina Bauschs Erbe verweisen. Da die Materialien lange nicht zugänglich waren, sind die zahlreichen Abbildungen eindrückliche Zeugnisse der Ära des Tanztheaters Wuppertal. Neben oftmals bereits bekannten Stückfotos, legen Fotografien von Probenprozessen, Notizen und Research-Reisen künstlerische Prozesse offen und kreieren überraschende Assoziationen zu gesellschaftlichen und kulturellen Kontexten – etwa durch Fotografien von Protestierenden gegen die Münchner Notstandsgesetze 1968 (neben einem Foto aus „Kontakthof“) oder Nici de St. Phalles skulpturalen Installationen der 60er Jahre (neben einem Foto aus „Blaubart“). Hieran knüpfen sich so zahlreiche Thematiken, die in Publikationen bisher unerwähnt blieben – wie beispielsweise noch nicht erforschte Verbindungen der Tanzentwicklungen im Nachkriegsdeutschland und ihre Verflechtungen mit einem höchst vibrierenden Kunstumfeld von Fluxus in Wuppertal (oder auch das Schaffen Beuys' im nahe gelegenen Düsseldorf wäre sicherlich eine Analyse wert).
„Wir spielen uns selber, wir sind das Stück.“ Gerade dieses Zitat kann symptomatisch für das Buch „Pina Bausch und das Tanztheater. Die Kunst des Übersetzens“ gelesen werden, verweist es doch auf die enge Verknüpfung eines Ensembles mit einer spezifischen Arbeitsweise und der daraus resultierenden künstlerischen Produktion, die die Tanz- und Bewegungswissenschaftlerin erstmals unter dem Aspekt der Künstlerischen Forschung in den Blick nimmt.
Mit jenem virulenten Diskurs, der seit einigen Jahren zunehmend auch eine Rolle in Tanz und Tanzwissenschaft einzunehmen beginnt, verschiebt Klein, im Vergleich zu früheren Abhandlungen, das Erkenntnisinteresse von den Inhalten und dem Begriff „Tanztheater“ hin zu einer Untersuchung der spezifischen Arbeitsweise Pina Bauschs und dem Tun der Choreografin und ihrer Tänzer*innen. Dieser Fokus auf die (künstlerische) Praxis legt die Vielschichtigkeit der künstlerischen Produktion von Pina Bausch nicht nur aus aufführungsanalytischer Sicht, sondern vor allem ihrer Erzeugung durch die kollektiven Arbeitsweisen und ihrer Rezeption offen.
Daneben bildet Bausch als „Anthropologin des Tanzes“ (10) – und damit als Übersetzerin der ihr umgebenden Lebenswelten und gesellschaftlichen Zuständen – die Basis für Kleins These der Übersetzung als Konzept von Tanz- und Kunsttheorie in Bezug auf die künstlerische Produktion am Tanztheater Wuppertal. Argumentativer Ausgangspunkt ist ein gängiger tanzwissenschaftlicher Diskurs: Das Diktum der Flüchtigkeit des Tanzes und die Frage danach, wie sich die ephemere Kunstform Tanz in Sprache überführen lässt. Um dieses Diktum zu bearbeiten, greift Klein auf das Konzept der Übersetzung zurück „als eine zentrale Praxis (tanz-)künstlerischer Arbeit einerseits und als grundlegendes Konzept tanzwissenschaftlicher Forschung andererseits zwischen Sprechen und Bewegen, Bewegung und Schrift, zwischen verschiedenen Sprachen und Kulturen, zwischen unterschiedlichen Medien und Materialien, zwischen Wissen und Wahrnehmung, zwischen den Compagnie-Mitgliedern bei der Stückentwicklung und den Weitergaben, zwischen Aufführung und Publikum, zwischen Stück und Tanzkritik, zwischen künstlerischer und wissenschaftlicher Praxis.“ (13f.)
Insgesamt hat Gabriele Klein sieben Jahre an dem Buch gearbeitet, das im Rahmen des von der DFG geförderten Einzelprojekts „Gesten des Tanzes – Tanz als Geste. Kulturelle und ästhetische Übersetzungen am Beispiel der internationalen Ko-Produktionen des Tanztheater Wuppertals“ an der Universität Hamburg und unter Mitwirkung verschiedener Mitarbeiter*innen (Elisabeth Leopold, Stephanie Schroedter, Anna Wieczorek) entstand. In sechs Kapiteln (Stücke, Compagnie, Arbeitsprozess, Solotänze, Rezeption, Theorie & Methodologie) beschreibt sie die Ära Pina Bauschs mit dem Tanztheater Wuppertal, wohlgemerkt als Wissenschaftlerin und nicht als Journalistin, also aus einer anderen Perspektive heraus als zuvor erschienene Bücher über Pina Bausch dies tun (etwa von Norbert Servos oder Jochen Schmidt), wie Klein in der Buchpräsentation im Rahmen der 7. Biennale Tanzausbildung auf Kampnagel Hamburg erklärt.
Diese wissenschaftliche Perspektive einzunehmen, gelingt in diesem Buch sehr gut, löst es doch die – nicht zuletzt auch durch Wim Wenders Film geformte – Legendenbildung um Pina Bausch als „Pionierin, Ikone, Mythos, Marke“ (8) etwas auf. Und dabei bleibt es ein informatives und persönliches wie auch gesellschaftlich relevantes Lesevergnügen, nicht nur für ein Fachpublikum, sondern für eine breite Leserschaft. Was nicht zuletzt daran liegen mag, dass der methodologisch-theoretische Teil (praxeologische Produktionsanalyse und Verknüpfung von kunstsoziologischen bzw. sozialwissenschaftlichen Verfahren mit theater- und tanzwissenschaftlichen Analysemethoden) an das Ende gestellt wurde. Dennoch: der „erfahrungsgeleitete Forschungsprozess“ (15), den Klein in ihrer Einleitung ankündigt, lässt sich in den einzelnen Kapiteln nicht nachvollziehen.
Erhellend ist insbesondere der Blick auf die spezifische Arbeitsweise, nicht nur der Arbeitsmethode des Fragenstellens, sondern vor allem des engen Zusammenarbeitens in einer Wahlfamilie bestehend aus 20 Nationen als „utopisches Modell“ (94), das definiert ist durch zeitliche wie auch „personelle Kontinuität“ (94), bedingt durch eine spezifische Kulturpolitik, wie auch dem „Selbstverständnis der Compagnie als Gruppe oder Gemeinschaft“ (174) und der daraus hervorgegangenen verschiedenen Tänzer*innen-Generationen, die nach wie vor zusammen an den Wiederaufnahmen arbeiten und so die Stücke weiterformen.
Neben der Frage nach Möglichkeiten der Weitergabe nimmt das Kapitel der Rezeption einen großen Anteil in der Publikation ein. Hier beleuchtet Klein sowohl Sicht- und Arbeitsweisen der Tanzkritik als auch Zuschauerhaltungen. (Insgesamt wurden im Rahmen ihrer Forschung 1500 Zuschauer*innen befragt, um Aufschluss über Reaktionen des Publikums zu erhalten.) Dies ist nicht zuletzt wesentlich für Klein, da sie in ihrem Buch immer wieder auf die Spezifik der Ko-Präsenz von Akteur*in und Zuschauer*in als theaterwissenschaftlichem Konzept Bezug nimmt.
An diese Perspektivierungen der Rolle des Publikums knüpft sich die Frage nach der Aktualität von Pina Bauschs Werk, der auch die derzeitige Intendantin Bettina Wagner-Bergelt nachgeht. Etwa, wenn sie mit neuen Formen kollektiver Arbeitsweisen experimentiert, um die Radikalität von Bauschs Arbeitsweise zu untersuchen.
Gabriele Klein erörtert die Frage nach Zeitlosigkeit bzw. der Radikalität von Pina Bauschs Arbeiten entlang des Begriffs des Zeitgenössischen in ihrem Schlusswort. Wie sich die Aktualität der Stücke fortschreiben lässt, folgert sie, wird sich in der weiteren Arbeit des Tanztheaters Wuppertal zeigen – in den Wiederaufnahmen als „(Rück-)Übersetzungen in die jeweiligen Gegenwarten . Auf diese Weise schaffen die Aufführungen einen Raum für das Publikum, die Aktualität des Stücks durch eine Kopplung an die eigene Zeit zu prüfen. Das Publikum entscheidet, ob das Stück für die Gegenwart, in der sie es erleben, Relevanz hat oder nicht.“ (409) – Und damit auch, inwiefern Pina Bauschs Werk (weiterhin) als zeitgenössisch gelten kann.
Gabriele Klein: Pina Bausch und das Tanztheater. Die Kunst des Übersetzens, Bielefeld: transcript Verlag 2019, 448 Seiten, ISBN: 978-3-8376-4928-4, 34,99 EUR
Das Buch erscheint im April 2020 auch in englischer Sprache!
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