„L’Europe galante“ von André Campra, Choreografie: Marie-Geneviève Massé 

Der Tanz der Fächer

Die Barocktanzkompanie „L’Éventail“ bereichert in Potsdam André Campras „L’Europe galante“

Die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci präsentieren das Opéra-ballet „L’Europe galante“ in einer Wiederbelebung barocker Festfreude, mit einem musikalischen und einem tänzerischen Barockensemble.

Potsdam, 21/06/2018

Von Bernd Feuchtner

 

Dass der Sonnenkönig in den Opern Lullys tanzte und die Höflinge wie Gestirne um sich kreisen ließ, ist nicht nur eine Anekdote der Geschichte. Es zeigt auch die Geburt der französischen Oper aus dem Geist des höfischen Festes. Der Hof selbst war die Aufführung, niemand konnte den Star spielen und sich als Darsteller über die Fürsten erheben. Zum Zuschauen wurden die Oper und das Ballett – als ihr integraler Bestandteil – erst später. Daran hat jetzt die charmante Aufführung des Opéra-ballet „L’Éurope galante“ im zweiflügeligen Orangerieschloss Friedrich Wilhelms IV. im Park Sanssouci erinnert.

Nur für Orangen ist der Flügel in der Tat viel zu schade, aber da er nun einmal für den Winteraufenthalt der empfindlichen Pflanzen erbaut wurde, hat er etwas von einer Lagerhalle, wenn auch einer prunkvollen. Daran setzt das Inszenierungsteam an, indem es den Saal wie ein improvisiertes Maleratelier ausstattet, in dessen Hintergrund eine Leinwand mit einem heiteren Sommerhimmel aufgehängt ist. Und dann wird eben mit den Malerutensilien improvisiert, was das Spiel so braucht. Das Spiel ist natürlich eines um die Liebe – im Prolog streiten sich Venus und die Zwietracht darum, wer der Stärkere ist in Europa. Da macht das Publikum sich so seine Gedanken …

Auf der Bretterbühne erscheinen die spröde Schöne (die vitale Sopranistin Chantal Santon Jeffery) und der untreue Liebhaber (der prachtvolle Bariton Douglas Williams), um die Liebe in Frankreich vorzuführen. Die unglücklich Verlassene (die zarte Sopranistin Eugénie Lefebvre) überlässt sich dem Hass, während der Vierte (Clément Debieuvre mit einer wundervollen hohen Tenorstimme) sich freut. Aber der Chor mahnt zum Kampf gegen die Eifersucht und ihre schlimmen Folgen. Und das ist das Schöne an dieser Aufführung: Choristen, Tänzer, Sänger werden bunt durcheinander gemischt, das Spiel umfasst alle und jeden.

Das Regieteam hat in diesem Fall wirklich Teamarbeit geleistet: Choristen tanzen, Tänzer singen. Regisseur Vincent Tavernier und Choreografin Marie-Geneviève Massé haben die Szenen gemeinsam gestaltet, sodass es eine Aufführung aus einem Guss wurde. Die vier Tänzerinnen und die beiden Tänzer treten nur in besonderen Momenten in den Vordergrund, um ein Tanzstück zu illustrieren. Die Compagnie L’Éventail widmet sich seit 1985 dem Barocktanz, und Massé hat dessen Grundlagen so genau studiert und trainiert, dass sie sich bei solchen Projekten ganz frei machen kann von den Originalfiguren. Selbstverständlich sind die Errungenschaften des 19. Jahrhunderts tabu, aber eine Pirouette darf auch mal deftiger ausfallen, wenn es zur Szene passt. Sonst bewegen sich die Tänzerinnen und Tänzer meist sehr stilbewusst und elegant mit den barocken Schritten und geben dem Tanz mit den Arabesken der Arme Charme.

André Campras „L’Europe galante“ war 1697 auch deshalb so erfolgreich, weil es zeigte, dass es doch einen Weg über den Lully-Kanon hinaus gab. Campras Tanztypen (Rigaudon, Menuett, Chaconne, Passacaille, Sarabande, Gavotte, Loure, Forlane, Marche) waren nun nicht mehr für das Tanzvergnügen des Hofes geschrieben, sondern für die Bühne der Académie. Das gibt dem Abend eine große Abwechslung – wie in der Liebe liegt auch beim Opéra-ballet das Geheimnis in der Vielfalt. Die Tänzer spielen Kellnerballett, wickeln die Begehrte in den Bändern eines Maibaums ein, verspotten den Eifersüchtigen, streuen ein Charaktersolo ein.

Das jeweilige Land wird ausgelost, und die Wahl fällt auf Italien als zweites Liebesbild (in dem auch tatsächlich Italienisch gesungen wird). Da klammert der Eifersüchtige (der energische Tenor Aaron Sheehan) solange an seiner Braut, bis sie ihm mitten im venezianischen Karneval davonläuft – die ersten beiden Runden hat Venus also schon mal gegen die Zwietracht verloren. Musikalisch unterscheiden sich die Länder nicht so sehr – Patrick Cohën-Akenine und seine Folies françoises spielen vor allem einen sehr inspirierten barocken Originalklang, und der war damals so europäisch wie die Allongeperücke.

Nach der Pause werden die romantischen Spanier und die herrschsüchtigen Türken vorgeführt. Beim spanischen Liebesdramolett kommt dann noch der elegante Bass von Lisandro Abbadie zum Einsatz, allerdings bringen auch zwei keckere Liebhaber ihre Ständchen dar. Hier siegt aber nun endlich die Liebe, denn, wie wir erfahren, enthüllt Amor seine Geheimnisse nur der Nacht, und da winkt dem Zärtlichen und Treuen der Lohn. Ein Tänzer präsentiert gar einen Flamenco, zuerst als Schattenspiel, dann virtuos mit Kastagnetten. Und wenn drei Damen einen Fächertanz zeigen, weisen sie dezent auch darauf hin, dass dieses bei den Spielen Amors unentbehrliche Requisit der Tanzkompanie den Namen gegeben hat.

Am Hofe des türkischen Sultans hingegen ist die Geliebte dankbar, seine Gefangene zu sein. Und der Sultan rät der Verschmähten: „Verbirg deinen Schmerz und achte mein Vergnügen.“ Da auch hier aber am Ende die Liebe gewonnen hat, gibt die Zwietracht sich geschlagen und alles freut sich über den guten Ausklang. Die Tanzkompanie tauscht die türkischen Palmwedel gegen Cheerleader-Puschel und Flowerpower-Ketten und feuert die Begeisterung noch weiter an. Entsprechend animiert war das Publikum und verschwand beflügelt in der lauen Sommernacht.

 

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