„Der Nussknacker“ von Wassili Wainonen

„Der Nussknacker“ von Wassili Wainonen

Ein Traum aus rosa Zucker

Das Mariinsky-Ballett mit „Nussknacker“ im Festspielhaus Baden-Baden

Kaum erklingen die ersten Töne von Tschaikowskys Nussknacker-Ouvertüre aus dem Orchestergraben und gleiten weich und langsam dicke Schneeflocken am dunklen Bühnenvorhang entlang, sinkt man ein paar Zentimeter tiefer in den Sessel.

Baden-Baden, 31/12/2014

Kaum erklingen die ersten Töne von Tschaikowskys „Nussknacker“-Ouvertüre aus dem Orchestergraben und gleiten weich und langsam dicke Schneeflocken am dunklen Bühnenvorhang entlang, sinkt man ein paar Zentimeter tiefer in den Sessel. Wer noch in Weihnachtsruhe schwelgt, kostet diese noch etwas tiefer aus und wen am Heilig Abend dann doch der Weihnachtsstress gepackt hat, kann nun tief durchatmen. Das Mariinsky-Ballett zeigt den „Nussknacker“.

Zart und luftig, wie aus weiter Ferne kommend, beginnt Boris Gruzin mit dem Mariinsky-Orchester, das durch einen klaren Klang besticht, seine Interpretation der Partitur von P. I. Tschaikowsky. Langsam schwillt der Orchesterklang an, die Musik wirkt zunehmend realer und dann hebt sich der Vorhang. Man findet sich wieder in einer verschneiten Stadt, in der Groß und Klein am Weihnachtsabend auf dem Weg zu Stahlbaums sind, zum Medizinalrat, seiner Frau sowie den Kindern Mascha und Franz. Wie die Handlung weitergeht, dürfte hinlänglich bekannt sein. Mascha bekommt von ihrem Paten Drosselmeier einen Nussknacker geschenkt, der sich in ihrem Traum in einen Prinzen verwandelt und sie in das Land der Zuckerfee entführt. Ja, es gibt kleine Unterschiede je nach Inszenierung, aber das Grundgerüst bleibt, und darauf kommt es an. Besonders in dieser Inszenierung, die viel mehr von Bildern lebt als von Narration. Simon Wirssaladze schafft mit seiner in weichen Pastellfarben und sehr perspektivisch gehaltenen Ausstattung Stimmungsbilder, die sich von der noch eher realistisch gehaltenen Anfangsszene bis hin zum Traumland der Zuckerfee in ihrer Unwirklichkeit sukzessive steigern und am Ende in einem Traum aus zartrosa Tüll ihre Apotheose finden. Damit bewegt er sich manchmal am Rand des Kitschs, überschreitet dessen Grenze jedoch nie. Vielmehr gibt er diesem Märchen damit genau das, was ein Märchen braucht: eine Welt, die irgendwo zwischen Realität und traumhaft Irrealem schwebt.

Nicht ganz so perfekt gelungen ist dieser Spagat dem Tanz. Das dürfte weniger an der Choreografie von Wassili Wainonen (1934) als vielmehr an der Fokussierung auf tanztechnische Virtuosität liegen. Das Corps de ballet beeindruckt durch seine Exaktheit, die Solisten des 1. und 3. Aktes durch ihre technische Virtuosität. Nadezhda Batoeva als Mascha/Prinzessin und Vladimir Shyklyarov als Nussknacker/Prinz verkörpern die technische Brillianz, die Eleganz, die Anmut und den Stolz des klassischen Balletts im wahrsten Sinne des Wortes. Im Grand Pas de deux des 3. Aktes ist Batoeva ganz Primaballerina, die Bühne und der Zuschauersaal liegen ihr zu Füßen.

Was sich im 3. Akt als Glanz und Höhepunkt des klassischen Balletts präsentiert und vollends überzeugt, scheint doch im 1. und 2. Akt etwas fehl am Platz. Mascha, dem jungen Mädchen, das spielt und träumt, fehlt es an Leichtigkeit. Narr, Puppe und Mohr, die als Puppen zum Leben erweckt werden, verlieren durch ihre Virtuosität ihre Puppenhaftigkeit. Während das Corps de ballet die feiernde Weihnachtsgesellschaft überzeugend einfängt, die Schar der Kinder unauffällig aber unaufhörlich in Bewegung bleibt und tatsächlich aufgeregt zu spielen scheint, verlieren die Figuren in ihren solistischen Passagen an Glaubwürdigkeit. Weniger hohe Arabesken, vielleicht ein Sprung weniger und dafür mehr darstellerische Qualität hätten der Glaubwürdigkeit der ersten beiden Akte gut getan.

Wirklich stören tut dies an diesem Abend jedoch nicht. Nach dem letzten Vorhang folgt begeisterter Applaus und zurück bleibt ein in wunderbaren Farben erzähltes und beeindruckend getanztes Weihnachtsmärchen.
 

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