„Ah! Oh! A Contemporary Ritual“ von Kat Válastur im HAU2

„Ah! Oh! A Contemporary Ritual“ von Kat Válastur

Post-apokalyptischer Reigen

„Ah! Oh! A Contemporary Ritual“ von Kat Válastur im HAU2

Ronja Ruppert bloggt über das zweite Stück der Reihe „The Marginal Scupltures of Newtopia“ von Kat Válastur.

Berlin, 07/12/2014

Von Ronja Ruppert

„Ah! Oh! A Contemporary Ritual“ von Kat Válastur hatte am Freitag im HAU2 in Berlin Premiere. Es ist das zweite Stück der Reihe „The Marginal Scupltures of Newtopia“ und ich muss einräumen, den ersten Teil im Mai dieses Jahres nicht gesehen zu haben. Für mich kann ich aber sagen, dass dieser Abend auch alleine stehen kann. Es ist kein langes Stück, das Ende kommt nach knappen 60 Minuten ein wenig abrupt, doch die Zeit scheint in der Performance ohnehin ihre eigenen Regeln zu befolgen, stillzustehen oder sich irgendwie kreisförmig zu drehen und zu wiederholen. Ein Kreis ist es auch, der die sechs Tänzer/innen auf der Bühne den größten Teil der Aufführung über zu beherrschen scheint. Unter einem Lichtkreis aus kalt-weißen Neonröhren, die unterschiedlich angesteuert werden können – mal rhythmisch aufleuchtend, mal stroboskopartig flackernd, dann wieder konstant scheinend – bewegen sich die Tänzer/innen wie auf einer Umlaufbahn, deren Kraft die Sechs wie Elektronen eines Atoms in sich verändernden Richtungen und Abständen zueinander zusammenhält. Dazu dröhnt ein an- und abschwellender, monoton pulsierender Sound, der sich mitunter auch hinter dem Publikum im Kreis durch den Raum bewegt. Alles ist eins, gefangen in mehrschichtigen, sich stetig verschiebenden Zeit- und Bewegungsschleifen. Ritual ist hier: Ausnahmezustand in der Zeit. Bewegungen im Kreis. Kräfte des Zusammenspiels. Trance.

Die Bewegungen der Tänzer/innen sind oft stockend, wirken merkwürdig deformiert und in sich gefangen. In dunklen Jeans, ausgebeulten Jacken und Straßenschuhen gehen die sechs mit federnden Knien, in den Jackentaschen vergrabenen Händen, hochgezogenen Schultern und vorgestecktem Kopf fast schon apathisch ihre Bahnen. Jeder ist isoliert für sich, obwohl sie von außen betrachtet eine Einheit bilden. Die Blicke stumpf nach innen gerichtet und mit aufgeblasenen Backen gewinnen die Gesichter etwas Maskenhaftes. Irgendwann zieht eine Tänzerin eine Hand aus der Tasche. Zögernd, beinahe schüchtern folgen die anderen und suchen nach Berührungen. Hände streichen gegenseitig die Luft aus den geblähten Wangen und bewahren diese sorgfältig auf – in der eigenen Jackentasche, unter der Schuhsohle oder schlicht auf dem schwarzen Tanzboden.

Kurz vor Ende des Stücks sammeln sich die Tänzer/innen um einen von der Decke hängenden, leuchtenden Beutel. Sie ziehen ihre Jacken und Schuhe aus, bilden daraus einen Kleiderberg – für mich im Kontext klar markiert als Opfergabe – und nehmen jeder etwas aus dem Beutel. Damit setzen sie sich, wieder in einen Kreis, und essen geräuschvoll ihr aus dem Beutel Empfangenes.

Durch sehr präzise Arbeit am Bewegungsvokabular und der Bewegungsausführung im Zusammenspiel mit Licht, Sound und Kostüm baut Válastur ihre „post-apokalyptische Atmosphäre“ auf, die durch die gesamte Aufführung ihre Spannung aufrecht hält, die Zeit zusammenhält und mich als Teil des Publikums mit in einen trancehaften Zustand versetzt.

Selbstredend eröffnet ein Stück, das sich ein so eng mit der Geschichte des Theaters verknüpftes und anthropologisches Thema wie Ritual zum Gegenstand macht, eine ganze Brandbreite an Fragen und Diskursen. Doch auch wer sich ob des Titels vielleicht noch verkopft in den Zuschauerreihen niedergelassen hat, wird seine Gedankenfäden lose in der schleifenartigen Trance des Raumes verlieren. Denn auch wenn sich offensichtlich zu erkennende Relikte archaischer Rituale durch die Aufführung ziehen – das Tanzen im Kreis, der Klangteppich, das Geben-und-Empfangen, das Bezeugen durch ein integriertes Publikum, um einige zu nennen – so appelliert der Abend weniger an den Intellekt, sondern entwickelt vielmehr eine eigene Sog-Kraft und erzeugt dadurch eine Atmosphäre, die erfahren werden muss. Das Stück bezeugt somit gewissermaßen gleich doppelt seinen eigenen Ritual-Status als Aufführung in einem Theaterhaus.
 

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