„Ein Sommernachtstraum“ von John Neumeier. Tanz: Ensemble

„Ein Sommernachtstraum“ von John Neumeier. Tanz: Ensemble

Unreife Sehnsüchte, Gefühlsverwirrung, Liebe und eindeutig Erotik

John Neumeiers Ballett „Ein Sommernachtstraum“ als aufpolierte Neufassung beim Bayerischen Staatsballett

Anhaltender Applaus im Münchner Nationaltheater für den Abend und seinen Schöpfer, der sich in hanseatischer Zurückhaltung mit dem Ensemble verbeugte.

München, 15/10/2013

Unreife Sehnsüchte, Gefühlsverwirrung, Liebe – vielleicht – und eindeutig Erotik, das ist, intelligent dicht an Shakespeare und dabei fantasievoll tänzerisch, John Neumeiers Ballett „Ein Sommernachtstraum“. Anhaltender Applaus im Münchner Nationaltheater für den Abend und seinen Schöpfer, der sich in hanseatischer Zurückhaltung mit dem Ensemble verbeugte.

Natürlich ist es eine Hommage an den Hamburger Ballettintendanten und großen Choreografen, wenn dieses Ballett von 1977, das Staatsballettgründerin Konstanze Vernon bereits 1993 ins Repertoire holte, jetzt überraschend als „Premiere der Neufassung“ deklariert wird. Dispositionstechnisch war auch Zeitdruck im Spiel: Die Staatsoper hatte wegen ihres 50. Wiedereröffnungsjubiläums und der Neuproduktion von „Frau ohne Schatten“ dem Ballettensemble ein frühes Premierendatum vorgegeben. Nur sechs Wochen nach der Sommerpause, so heißt es aus der Direktionsetage, wäre kein ganz neues Werk realisierbar gewesen.

Gleichviel, verdient ist diese Ehrung: Neumeier, nach John Cranko und Kenneth MacMillan heute weltweit der subtilste Tanzerzähler, hat dem Staatsballett die immer lange im Voraus ausverkauften Klassiker „Nussknacker“, „Kameliendame“ und „Sommernachtstraum“ überlassen. Was er hier nun geändert, wie er welche bewegte Geste psychologisch noch vertieft hat (für sein „denkendes Tanzen“ ist er ja berühmt), wird der Zuschauer kaum erkennen – nur, ob dieses Überkreuz-Spiel des Begehrens und Irrens uns heute noch anspricht.

Und? Ja: man wird fortgetragen von dieser dramaturgischen Leichtigkeit der sich mischenden, überlagernden Gesellschaften, jetzt zu Felix Mendelssohn Bartholdys „Sommernachtstraum“ (am Pult Michael Schmidtsdorff), dann zu György Ligetis eingespieltem sphärischem Brausen, Orgeln und zimbeligem Klingeln. Eben hat inmitten biedermeierlicher Hofgesellschaft Hippolyta an der Ehetauglichkeit ihres Verlobten Theseus gezweifelt. Und schon träumt sie sich in Jürgen Roses bestirntem zauberischem Olivenhain hinein in die Feenkönigin Titania. Ilia Sarkisovs technisch souveräner „Wirbelwind“- Puck, ganz der treue Diener von Titanias Gatten Oberon, hat mit seiner wirksam bestäubenden Zauberblume die Liebesgerichtetheit der beiden jungen Paare Helena/Demetrius und Hermia/Lysander vertauscht. Während die sich in wilde verlangende und widerspenstige Pas de deux verstricken, tölpeln immer mal wieder mit ihrem Drehorgel-Karren die Handwerker durchs nächtlich aufgewühlte (Liebes)gelände. Und kühl unbeirrt von diesem emotionellen Tohuwabohu ziehen Neumeiers Elfen, weiße Schattenwesen, ihre Bahnen.

Das ist formal schon exquisit, dieses gegensätzliche synchrone Ineinander einer pointiert modernistisch-skulpturalen Elfenschar, der sich auch überkreuz liebenden Paare und der rüpeligen Handwerker-Crew – deren Laienspiel „Pyramus und Thisbe“ beim herzoglichen Hochzeitsfest das Publikum hörbar amüsierte. Und spielerisch unaufdringlich, ja heiter, spiegelt uns dieser sommernächtliche Traum ganz allgemein des Menschen Torheiten und Irrwege in Sachen Liebe und Partnersuche – ob nun durch Blütensaft oder Hormonschub.

Richtig gefreut hat sich frau, dass Lucia Lacarras Titania alias Hippolyta sich mit Cyril Pierre als liebestollem Eselchen alias Zettel herrlich emanzipiert auf erotische Erkundungstour wagt. Und wenn Lacarra, in gertenschlank-hindekorierter Triumph-Figur hoch oben auf ihrem Theseus/Oberon Marlon Dino thront, weiß man doch, dass im Ballett nicht nur platonische Sylphiden das Sagen haben.

Alles gut? Für heutige Smartphone-User und Multi-Tasker ist das Ballett eine halbe Stunde zu lang. Man muss sich hier entschleunigen. Und technisch: Neumeiers Pas de deux sind Atemkiller und irre vertrackt. Sehr gut und komisch Lisa-Maree Cullum und Javier Amo (Helena/Demetrius). Dito Daria Sukhorukova (Hermia). Bei Matej Urban (Lysander) merkte man den kurzfristigen Einspringer. Insgesamt ist das Ensemble noch nicht vollkommen Saison-fit. Also nochmal reingehen. Wenn Gastballerina Polina Semionova und Matej Urban die Hauptrollen tanzen.
 

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