Prägende Persönlichkeit des großen Tanzaufbruches nach dem Zweiten Weltkrieg

Alain Bernard in Biel verstorben

Zürich, 02/05/2012

Ende April wurde in der Schweizer Tanzszene die Nachricht vom Tode Alain Bernards bekannt. Nur wenige wussten, wer er war. Dabei war Alain Bernard im Schweizer Tanz eine der zentralen, aktiv gestaltenden und prägenden Persönlichkeiten des großen allgemeinen Tanzaufbruches nach dem Zweiten Weltkrieg. Eigentlich einer der Großen. Von seiner Leistung her. Aber nie ein Großer in der allgemeinen Wahrnehmung durch die andern. Das lag nicht nur an den andern. Denn, wenn Bernard etwas erreicht hatte - und er hat vieles initiiert, geleistet und erreicht – dann musste er geradezu weiter. Nicht nur als Tänzer, als Persönlichkeit war er immer in Bewegung, bewegte sich, bewegte andere, viele. Im Suchen und Erarbeiten, aber auch im Weitergehen und Hinter-sich-Lassen. Denn tief innen war er immer enttäuscht. Zuerst von einzelnen Erscheinungen im Tanz, dann vom Tanz überhaupt, von dem er sich zum Schluss als aktiv Tätiger völlig abwandte, ebenso wie von der Schweiz, in der er nicht mehr leben konnte, leben wollte. Er zog sich mit seinen ihm unentbehrlichen klassischen - nur klassischen - DVDs in eine große, immer größer werdende Einsamkeit an die geliebten masurischen Seen in Polen zurück.

Aufbruch bestimmte sein Leben. Aufbruch als „weg von“, Aufbruch als „hin zu“. Nach dem „Weg von Familie und Herkommen“ war es unaufhaltsam eine Bewegung „hin zu“. Zum Tanz. Zuerst zur Tanzausbildung in Bern, dann zum Zentrum des damaligen Tanzaufbruches, nach New York. Modern Dance, Graham, Jazzdance, Modern Ballet: Balanchine. Wenn Bernard sich begeisterte, dann glühend und absolut. Ob Menschen, ob Tanzerscheinungen, ob Zustände der Welt: sein Verehren war ebenso unerbittlich wie sein Ablehnen. Was ihm unwert, finster erschien, das lehnte er mit seiner ganzen Leidenschaft ab, was ihm hell erschien, erlebte er strahlend überragend, dafür setzte er sich mit seiner ganzen Glut ein.

Für diesen Einsatz kam er in die Schweiz zurück. Als Choreograf, als Lehrer setzte er sich für diesen neuen Tanz ein; den Jazztanz lernte die Schweiz durch ihn kennen. Umfassend, mit unbändigem Elan setzte er sich ein, in mitreißendem Unterricht, in ungewohnten Formen der Tanzperformance, wie etwa einer getanzten Modeschau oder Schweizer Volksmusik mit Spitzentanz, in der Organisation von Sommerkursen in Bern; darüber hinaus aber: Einsatz für alles, was mit Tanz zu tun hat: Arbeit im Berufsverband, pointiertes Schreiben über Tanz, Aufbau einer umfassenden Tanzbibliothek und Tanzsammlung, Herausgabe des unentbehrlichen „Lexikons der Schweizer Tanzschaffenden“. Als Tanzpädagoge und Choreograf war er von Westdeutschland bis St. Petersburg tätig; in Polen als Pionier des Aufbruchs hin zum westlichen neuen Tanz. Gestorben ist er am 18. April 2012 in Biel, nach einem letzten, stillen Aufbruch: In die Schweiz, zu seiner Familie, zu seinen Freunden. Eine letzte Choreografie der guten Form, die ihm immer so wichtig war: Der Kreis sollte sich schließen.

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