Der Gießener Ballettdirektor Tarek Assam
Der Gießener Ballettdirektor Tarek Assam

Mind and Muscles

10 Jahre TanzArt ostwest und 10 Jahre Tanzcompagnie Gießen

Gießen, 14/05/2012

In diesem Jahr steht das TanzArt ostwest-Festival in Gießen unter besonderen Vorzeichen: es besteht seit 10 Jahren. Das auf dem Prinzip des gegenseitigen Austauschs beruhende Tanzfestival hat zu einem lebendigen Netzwerk zwischen festen Ensembles und der freien Szene geführt, in Deutschland, Europa und manchmal auch darüber hinaus. Zudem konnten junge Choreografen gefördert werden. Beim Mitbegründer und Leiter Tarek Assam laufen die Fäden zusammen, er pflegt die vielfältigen Kontakte. Mit seinem Start als Ballettdirektor am Stadttheater Gießen in der Saison 2002/03 installierte er sofort auch die TanzArt, die seit einigen Jahren ihren festen Platz an Pfingsten hat. Zum Jubiläum erscheint eine kleine Festschrift, in der auch nachfolgender Beitrag zu lesen ist. Eine Würdigung von Assams Arbeit als Choreograf.

Tarek Assam - Choreografische Handschrift ‚Am Anfang war das Wort’. Gilt das auch für Menschen, die vorwiegend mit ihrem Körper arbeiten, insbesondere für Tänzer und Tänzerinnen? Für sie steht die Bewegung im Zentrum, die des eigenen Körpers und der Tanzpartner/in. Wichtig ist für sie der umgebende Raum, in dem ihre Körper sich ausbreiten und entfalten, in dem sie ihre Körper-Tanz-Sprache entwickeln können. Und die gesprochene Sprache? Ist natürlich wichtig für die Kommunikation während der Proben, wird manchmal auch in Tanzstücken eingesetzt. Doch ‚das Wort’ steht für Wissen und Bedeutung, für Theorie und das Entwickeln von Konzepten – was von zentraler Bedeutung auf Seiten der Organisatoren und Macher ist, im Tanzbereich Choreografen genannt.

Tarek Assam kommt vom Sport und er studierte Philosophie und Soziologie. Er hat also von Anfang an Körper und Geist sehr bewusst verbunden. Er ist ein intellektueller Mensch und Choreograf. Das lässt sich kaum voneinander trennen. Seine ersten Arbeiten in Gießen ließen manche Besucher ratlos zurück, wohl wegen des intellektuellen Überbaus, dem nicht jeder zu folgen vermochte. Dieser hat sich – zumindest in der Erscheinungsform – allmählich verändert im Laufe der 10 Jahre am Stadttheater Gießen. Mindestens zwei Produktionen für die große Bühne und zwei für die kleine Bühne entstehen pro Saison, das ist eine erstaunliche Produktivität an einem kleinen Theater, mit einer kleinen Tanzkompanie, die anfangs nie mehr als acht Mitglieder hatte.

Von Anfang an gehörte es zu Assams Konzept, Gastchoreografen einzuladen. „Wir haben gearbeitet wie ein choreografisches Zentrum“, erklärt er in der Rückschau. Dadurch konnte das Publikum andere Tanzstile kennenlernen und auch die Tänzer Neues lernen. Und was hat es für den Ballettdirektor bedeutet? „Ich war verblüfft, was alles rauszuholen war aus den gleichen Tänzern. Und ich wurde immer wieder angeregt, über meine eigene Position zum Tanz zu reflektieren.“ Nur wenige Produktionen für die große Bühne hat er komplett Gastchoreografen/innen überlassen („Tango“ an Gabriel Sala/2005, Wilhelm Busch-Abend an Irene Schneider und Jutta Wörne/2008),vielfach aber mit ihnen zusammen gearbeitet, zuletzt mit David Williams für „Macbeth“.

Was also kennzeichnet die choreografische Handschrift von Tarek Assam? Oder anders gefragt: was ist das Typische an seinen Choreografien? Aus der Sicht einer Tanzkritikerin, die in den vergangenen 10 Jahren jedes Assam-Stück gesehen hat, ist als durchgehende Komponente natürlich das Bewegungsrepertoire des Contemporary Dance festzuhalten, verbunden mit höchst unterschiedlichen Tänzer(-körper)n, die eben nicht das Gardemaß des Klassischen Balletts haben. Wichtiger als das Ausloten von Körpergrenzen oder Ästhetik pur sind ihm Themen und die künstlerische Aussage, die er mit einem Stück auf die Bühne bringen will. Die Neuinterpretation von traditionsreichen Geschichten, egal ob aus der Antike, von Shakespeare oder Goethe, haben auch andere Choreografen im Programm. Typisch für Tarek Assam ist seine Art des Gegen-den-Strich-Bürstens: indem er die Aufmerksamkeit auf die Kernaussage(n) einer Geschichte fokussiert. Fast immer geht es um menschliche Gefühle und Erfahrungen, die ins Heute versetzt werden. Dabei helfen natürlich Requisiten, Bühnenbild und Kostüme, die aber sparsam eingesetzt werden und oft symbolische Bedeutung haben. Das heißt: das Wahrnehmen in Bildern und symbolisches Denken sind eine gute Voraussetzung zum Verständnis seiner Stücke.

Künstlerische Aussagen werden vor allem über die Atmosphäre transportiert, die - neben den genannten Bühnenmitteln – vor allem von Licht und Musik erzeugt werden. Wunderbare Fantasiewelten und zauberhaft poetische Bilder sind dabei entstanden. Kurzum: Assams Choreografien haben sich deutlich in Richtung Gesamtkunstwerk bewegt, das heißt, die Kunstbereiche seiner Kollegen haben höhere Eigenwertigkeit erlangt. Was sein Statement „Die Zukunft des Tanzes liegt in der Kooperation“ nur bekräftigt.
Auch sein Umgang mit Musik ist geprägt vom Gegen-den-Strich-Bürsten. Bevorzugt nimmt er unbekannte Musiken, weil er dadurch frei ist von bereits bestehenden Interpretationen und den Bildern, die sich dann (zumindest bei Choreografen) automatisch einstellen. Er wählt ebenso Klassische wie Neue Musik, er schöpft aus der Folk-, Jazz- und Rock-Musik oder gibt neue Kompositionen in Auftrag. Häufig kreiert er den Tanz gegenläufig zur Musik, nicht parallel wie in der traditionellen Ballettästhetik üblich. So lässt er etwa bei treibenden Rhythmen die Tanzenden zur Ruhe kommen. Umso überraschender sind dann die Momente, wenn die Bewegungsabläufe exakt zu Akzentuierungen in der Musik passen. Über kurze Strecken auch parallel laufen, manchmal mehrstimmig angelegt sind, um im nächsten Moment wieder eigene Wege zu beschreiten.

Und was zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, das ist die darstellerische Kraft einzelner TCG-Mitglieder. Egal ob intime Gefühle wie Verzweiflung und Verletzlichkeit oder aggressives Verhalten, die ganze Bandbreite wird tänzerisch und darstellerisch überzeugend 'rübergebracht; sie verlieren sich nicht in hohlen Gesten des Klassischen Balletts, versteigen sich aber auch nicht in exzentrische Schreiorgien manches Tanztheaters. Assams Choreografien bleiben daher nah am Menschen, vermitteln bei aller Symbolik und Konzeptualität doch Alltagserfahrung und berühren das Publikum in ihren besten Momenten.
Zum diesjährigen Programm in Gießen siehe: www.tanzcompagnie.de www.tanzart-ostwest.de

 

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