Was vom Leben übrig blieb

Tanzchef Jan Pusch liefert mit „Final Fiction“ seine zweite Arbeit am Staatstheater Braunschweig ab

Braunschweig, 27/02/2011

Was bleibt vom Leben an dessen Ende noch übrig? Mit dieser existenziellen Frage beschäftigt sich das Stück „Final Fiction“ von Jan Pusch, das am Sonnabend im Großen Haus des Staatstheaters Braunschweig Premiere hatte. Die zweite Inszenierung des Braunschweiger Tanzchefs ist eine Collage von Eindrücken, wie wir mit dem eigenen Ende umgehen.

Gleich zu Beginn ironisiert ein glamourös-prahlerischer, sekundenkurzer Showauftritt zu Frank Sinatras „I Did it My Way“ einen wesentlichen Aspekt der menschlichen Existenz: unsere perfekt inszenierte Lebenslüge, die Selbsttäuschung bis in den Tod. Nichts, woran der Mensch sich klammert, kann er behalten. Kaum zu Boden gesunken, wird schon der Nachlass der Verstorbenen versteigert. Gerade abgelebt, versucht der Geist einer Toten noch nach Dingen zu greifen, die längst in den Besitz der Lebenden übergegangen sind. Wie ferngesteuert erscheint ein Tänzer, dessen Gliedmaßen sich scheinbar unabgängig vom Rest seines Körpers bewegen, als wollten sie sich von ihm lösen.

Die Abfolge der einzelnen Szenen und Aspekten seiner Endzeit-Idee inszeniert der Choreograf im typischen Pusch-Tempo: rasant, dynamisch, kräftezehrend. Seine deutlich austrainierte Kompanie bewegt sich vorwiegend in einem schmalen Vertikalbereich zwischen dem Bühnenboden und der aufrechten Körperhaltung. Wie ein Magnet scheint der Boden die Tänzer mitunter anzuziehen, als würde weitaus mehr als die übliche Gravitationskraft der Erde auf ihre Körper einwirken. Den Soundtrack liefert Beat Halberschmidt, gefragter Komponist für zeitgenössischen Tanz, der auch die Musik zum Pusch-Vorgängerstück „Bingo?“ komponiert hat. Und ebenso wie bei seiner ersten Arbeit in Braunschweig greift Pusch auch bei seiner zweiten Premiere „Final Fiction“ auf Bewährtes zurück. Das Stück wurde bereits während seiner Zeit als Tanzchef in Oldenburg uraufgeführt, damals allerdings auf einer kleineren Bühne und mit nur acht Tänzern.

Hier nun sind es 15 Männer und Frauen, die zu den treibenden Klängen Halberschmidts über die Bühne jagen, springen, sich rasend schnell rollen und wälzen, sich aufbäumen und über Tische und Stühle hechten. Auffallend variantenreich sind die aus klassischem und modernem Tanz entliehenen Bewegungsmuster. Auffallend farbenreich sind die Kostüme (Ullinca Schröder), die bunten Blusen und Faltenröckchen der Tänzerinnen im Schulmädchen-Look, die farbenfrohen Hemden und Hosen der Tänzer - das pralle Leben als Kontrast zum Sterbethema.

Wie schon zuvor bei „Bingo?“ scheut sich Pusch nicht vor dem gesprochenen Wort – und auch nicht vor drastischen Slapstik-Einlagen. So hält jemand eine rührselige Grabrede für einen gewissen Dario Rodriguez, der sich noch als Leiche von der Bahre erhebt und sich über die Lobhudeleien und die falsche Aussprache seines Namens entrüstet. Die 75minütige Tanzshow endet mit einer ultimativen ausgelassenen Feier. Ein letztes Gemeinschaftsfoto mit der Polaroidkamera, ein letztes Aufbäumen gegen die eigene Endlichkeit, dann sinkt unaufhaltsam ein Tänzer nach dem anderen zu Boden und die Party ist vorbei.

Was nun vom Leben bleibt, diese ambitionierte Frage wird nicht eigentlich beantwortet. Vielleicht ist diese gewisse Ratlosigkeit der Grund dafür, dass „Final Fiction“ vom Publikum weit weniger enthusiastisch aufgenommen wurde als „Bingo?“. Das Motiv im eher verhaltenen Jubel könnte jedoch auch die düstere Ahnung sein, dass die Antwort möglicherweise „Nichts“ lauten könnte.

Die nächsten Vorstellungen von „Final Fiction“ finden am 4., 11. und 18. März um jeweils 19.30 Uhr im Großen Haus des Staatstheaters Braunschweig statt.

www.staatstheater-braunschweig.de

Diese Kritik erscheint auch in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung.

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