Von der Etsch an die Salzach transferiert

Peter Breuers „Romeo und Julia“-Produktion

oe
Salzburg, 17/02/2011

Es ist offenbar die Saison der „Romeo und Julia“-Produktionen: Salzburg, Mainz und unmittelbar bevorstehend Mannheim! An der Salzach hatte Peter Breuers und Andreas Geiers neue Version am 22. Oktober Premiere – sie steht jetzt unmittelbar vor ihrer 20. Vorstellung. Volles Haus – kein Zwischenbeifall, dafür am Schluss schier endlose Ovationen. Zwanzig Jahre ist Peter Breuer inzwischen in Salzburg Ballettchef (und gerade gebührend mit einer Ballettwoche gefeiert worden.

Und dies ist sicher sein Meisterstreich: eine Aufführung, die im Turbo-Tempo gerade mal, inklusive Pause, 125 Minuten dauert. Durchglüht von einem dramatischen Furor, wie man ihn eher vom Bolschoi oder in Stuttgart gewohnt ist. Von einer gerade mal sechzehn Tänzer starken Kompanie (plus acht Statisten), die die gelegentlichen Massenszenen auf der von Dorin Gal durch Spiegel geschickt ins Unendliche erweiterten Nudelbrettbühne wie die Rushhour am New Yorker Times Square erscheinen lässt. Einzige Einschränkung: die musikalische Reduzierung auf eine Tonbandaufnahme – die allerdings stammt von Valery Gergiev und kocht die Prokofjew-Partitur zu Mariinsky-Glanz und Opulenz hoch.

Erstaunlich die zahlreichen dramaturgischen Eingriffe, aber sie sind so geschickt vorgenommen, dass man immer wieder denkt: diese Musik ist doch eigentlich für eine ganz andere szenische Aktion komponiert worden – aber welche denn eigentlich? Die Produktion ist ein Paradoxon: ein psychologisch stringent individualisiertes Kammerspiel mit markant profilierten Charakteren. Kein gesellschaftspolitisch zugespitzter Gruppenkonflikt zweier miteinander verfeindeter Parteien. Nur leicht angedeutet der Aufeinanderprall zweier fundamentalistischer Kulturen: die Familie Julias geprägt durch ihr im Islam verankertes Traditionsverhaftetsein (Mutter und Julia mit Kopftüchern). Julia ist Ballerina und wird für eine Ballettinszenierung mit der Hauptrolle besetzt – sehr zum Entsetzen ihres Bruders Tybalt, der gegen das ganze moderne westliche Milieu aufbegehrt (der erste Akt ist als Training und Probe im Ballettsaal angelegt – man denkt an den Film „Black Swan“, aber das Ballett hatte bereits Premiere, da hat noch keiner von dem „Black Swan“ gewusst. Der Konflikt ist hier weniger hysterisch, irgendwie ballettehrlicher).

Wobei ich mir den Zusammenprall Islam – westliche Moderne noch expliziter gestaltet gewünscht hätte. Diese Personenkonstellation begünstigt die Rollenzeichnung der Mutter (Cristina Uta), die viel differenzierter angelegt ist als ich sie selbst von Haydée oder Fonteyn je gesehen habe. Sie begünstigt auch den Tybalt von Alexander Korobko, der hier nicht nur der übliche Hau-Drauf-Brutalo ist, sondern der Rächer der Familienehre. Glänzend auch die Aufwertung solcher vermeintlichen Nebenrollen wie Rosalinde (Eriko Abe), Julias Freundin (gemeinhin die Amme: Anna Yanchuk) und die Doppelrolle Ballettmeister und Pater Lorenzo (Josef Vesely). Zu jeder dieser Figuren hat sich Andreas Geier offenbar eine Vorgeschichte einfallen lassen, die Breuer brillant in die einzelnen Rollencharaktere eingebracht hat (jede und jeder könnte die „Romeo und Julia“-Story aus seiner individuellen Perspektive erzählen (was ich die Rashomon-Motivation zu nennen versucht bin).

Die beiden Protagonisten – sie die Moskowiterin Lilija Markina, er der Australier Daniel Asher Smith – sind die „star-crossed lovers“, die von ihrer ersten Begegnung einander verfallen sind und in eine eigene Welt (der Liebe) katapultiert werden, die jegliche Realität ausschließt – auch die engsten Verwandten und Freunde (wie den ansteckend gutgelaunten Mercutio von Vladislav Koltsov). Dorin Gal hat dafür den stimmigen dekorativen Rahmen geschaffen: eine steile, die ganze Bühnenbreite ausfüllende Schrägwand, an der alle anderen vergeblich hochzukraxeln versuchen, um immer wieder zurückgeschleudert zu werden („Romeo und Julia“ alpin). Nur Julia und Romeo schaffen es, doch wenn sie getrennt oben angelangt sind, stürzen sie sich Tosca-gleich in die Tiefe, während in Himmelshöhe das Michelangelo-Motiv der beiden entgegenstrebenden Hände mit den ausgestreckten Zeigefingern projiziert wird.

Vorher aber hat die Aufführung noch einen – ja, geradezu genialen theatralischen Höhepunkt: wenn die sich die beiden bis auf Slip und Büstenhalter ausgezogenen Protagonisten im strömenden Regen (eine Anspielung auf den sprichwörtlichen „Salzburger Schnürlregen“?) in ihrem großen Liebes-Pas-de-deux eine Wasserschlacht von geradezu Pina Bausch‘schem Format liefern, in der sie gleichsam von allen irdischen Malaisen und Zwängen reingewaschen werden – eine andere Art von Apotheose (die man auch eine Liebestaufe nennen kann). Eine großartige Aufführung, die über alle von mir nachgerade aufgerichteten Vorurteile, ob man diesem Prokofjew-Klassiker nicht eine Zwangspause verordnen sollte, mit Karacho hinwegtanzt (über die gleiche Produktion hat tanznetz bereits diverse Kritiken am 25. Oktober verlinkt und eine eigene Kritik von Karl-Peter Fürst am 12. Dezember).

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