Jurassic-Park auf rotem Teppich

Ruhrtriennale: „The Defenders“ von William Forsythe

Bochum, 08/10/2010

So einen perfekten Raum findet ein Choreograf nicht oft für seine Performance wie William Forsythe für „The Defenders“, den ersten Teil eines vielteilig konzipierten Installationsprojekts, der gestern Abend in der Bochumer Jahrhunderthalle Premiere hatte. Die monumentale Stahlkonstruktion mit 9000 Quadratmeter Innenfläche auf dem Gelände des ehemaligen Stahlwerks diente ab 1903 als Gaskraftzentrale, nach der Stilllegung der Fabrik um 1970 als Lager und Werkstatt. Seit dem sehr gelungenen Umbau mit einladend lichter Glasfront und großzügigem Foyer, drei Aufführungshallen, Probensälen, Künstlergarderoben und Verwaltungsräumen ist der Koloss zentrales Festspielhaus des Festivals „Ruhrtriennale“. Vor den rauen Backsteinwänden und Rundbogen-Sprossenfenstern gewannen schon intime Werke wie etwa Pina Bauschs „Café Müller“ völlig neue Dimensionen.

Hier läuft Forsythes Weltuntergangs-Szenario mit optimalem Effekt zum wild-bizarren Überlebenskampf auf. Bedrohlich tief schwebt der Betonklotz (aus Styropor von einer Größe um die 50 Meter Länge, zwölf Meter Tiefe und zwei Meter Höhe) über dem Erdboden. Nur noch einen knappen Meter trennen den wuchtigen Quader vom roten Teppich. Pflanzen, Erdkrume, Wasser sind längst unter dem Kunstboden erstickt. In der Dunkelheit hört man Scharren, Schnaufen, Grunzen. Schemenhaft wird im immer heller werdenden Neonlicht eine Gestalt erkennbar, die sich orientierungslos über den Boden wälzt. Der Körper scheint ganz lädiert. Gelenke funktionieren nicht. Arme und Beine verheddern sich miteinander. Der Kopf hat keinen Halt. Der Rücken bäumt sich auf, rollt zur Seite, alles verkrampft. Am Ende der mühseligen Flucht aus diesem fremden Terrain gebietet eine grell gleißende Spiegelwand Einhalt. Das eigene Spiegelbild sorgt für größtes Entsetzen. Andere Kreaturen regen und bewegen sich ähnlich konfus durch den Raum. Mit Klauen und Krallen verteidigen sie ihren Lebensraum - das Ende von Jurassic-Park? Tierlaute sind immer wieder zu hören. Aus dem Off, von fern hört man Sphärenklänge, Chorgesänge, Hämmern, Poltern. Dem schrillen Warnschrei eines Vogels antworten plötzlich Trillerpfeifen. Menschliche Stimmen mischen sich unter die Tierstimmen. Laute werden zu Buchstaben, zu Silben und Worten.

Einmal erreichen alle das Ende des drückenden Areals, jubeln befreit auf. Ab und an erhebt sich eine der sieben Kreaturen und schreitet hoch aufgerichtet mit langen Schritten direkt vor den Zuschauern an dem Quader entlang. Das Publikum hat es vergleichsweise komfortabel während dieser Horrorstunde: in drei langen Reihen sitzen oder hocken die Menschen – rund 180 an der Zahl - auf Kissen direkt vor der Spielfläche. Mit jeweils zwei Vorstellungen von „The Defenders“ in unterschiedlicher Besetzung endet an diesem Wochenende das erfreulich reiche Tanzprogramm der Ruhrtriennale eindrucksvoll.

www.ruhrtriennale.de
 

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