Ratten oder Maus, das ist hier die Frage …

„Die Fledermaus“, choreo-inszeniert von Philipp Stölzl und Mara Kurotschka

oe
Stuttgart, 06/11/2010

Wiedermal Johann Straußens „Fledermaus“ – zum wievielten Male? Ich schätze mal im letzten halben Jahrhundert: in jedem Jahr zumindest eine. Ich krame in meinem Archiv: die glanzvollste, eleganteste und musikalisch beseligendste: sicher die von Walter Felsenstein in der gerade neueröffneten Komischen Oper in Berlin zu Weihnachten 1946, mit Otto Klemperer am Dirigentenpult, Tanzeinstudierung: Sabine Ress (erinnert sich heute noch jemand an sie?). Da gingen uns, so bald nach dem Krieg, die Augen und Ohren über. Dann also, unter vielen, vielen anderen: in Wien, München, London, an der Met (mit Kiri Te Kanawa), Köln, Düsseldorf, Brüssel (Maurice Béjart), von Otto Schenk, Helmut Käutner und Arno Assmann, von Harnoncourt und Johannes Schaaf in Amsterdam und in Salzburg am ärgerlichsten von Hans Neuenfels – noch verschiedene Male in Berlin, etwa am Metropol-Theater, choreografiert von Anni Peterka, mit der „gesamten Tanzgruppe“, inklusive der unverwüstlichen Rita Zabekow, Helga Wasmer-Witt und Kurt Lenz, Rolf Gelewski, Gregor Leue und Walter Schales (darunter allein im Czardas außer den sechs Solisten 29 Gruppentänzer – das war 1955/56). Darüber ließe sich ein ganzes Buch schreiben: deutsche Theatergeschichte nach dem zweiten Weltkrieg am Beispiel der „Fledermaus“-Produktionen. Darunter auch die sämtlich missglückten Stuttgarter Inszenierungen von Hans Hollmann, Tilman Knabe (unsäglich!) und Herbert Wernicke (im Schauspielhaus, mit einer nicht singen könnenden Schauspielbesetzung).

Und nun also die dritte Vorstellung der Stuttgarter Neuproduktion – und wenn ich den Premierenkritiken Glauben schenken darf, inzwischen wesentlich stimmiger und feinkörniger dirigiert vom Stuttgarter Chef Manfred Honeck (immerhin ein Wiener), inszeniert von Philipp Stölzl, berüchtigt seit seinem Salzburger „Benvenuto Cellini“ und seinem Berliner „Rienzi“. Der sieht in der „Fledermaus“ „eine Art Partykarussell, in dem die bürgerliche Welt buchstäblich Kopf steht und die Protagonisten in der – vermeintlichen – Anonymität den schrägen Fantasien freien Lauf zu lassen“. Dazu hat er sich Mara Kurotschka für die Co-Regie geholt, mir bislang unbekannt, aus Karlsruhe stammend und in Berlin als Choreografin arbeitend, graduiert am Dance Department der New Yorker Juilliard School, mit Credits vom Lincoln Center sowie mehreren Museen für zeitgenössische Kunst etwa in Berlin, Karlsruhe und Rom.

Und die hat der neuen Stuttgarter „Fledermaus“ choreografisch ganz schön eingeheizt, hetzt die Sänger, die ihre Sache ausnahmslos gut machen (besonders Matthias Klink als Eisenstein), in Turbogeschwindigkeit über die Bühne, verlangt ihnen die unmöglichsten akrobatischen (haargenau getimten, brillant realisierten) Aktionen auf der ständig in Schieflage befindlichen Bühne ab, so dass man den Eindruck gewinnt, die Regie leide an einem Hyperaktivitäts-Syndrom. Ich sah und staunte! Ganz glücklich wurde ich gleichwohl nicht. Die Produktion kreist hier um Orlofsky alias Helene Schneidermann, ganz sicher Stuttgarts brillanteste Comedienne, hier aber leider ziemlich unvorteilhaft kostümiert von Ursula Kudrna – wie übrigens auch die doch reichlich vulgären „Ballettratten“ aus einer quasi „Crazy Cat“-Show. Nach dem überaus langen, überaus unlustigen dritten (Frosch-)Akt (sowieso fast immer außerhalb von Wien eher enervierend) habe ich das Haus in eher gemixter Laune verlassen. Ja, das waren noch Zeiten, gleich damals nach dem Krieg, bei Felsenstein und Sabine Ress in Berlin (und im Publikum ein Noch-Teenager namens oe).

 

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