Junge Choreografen, alte Sprache

Keiner stellt die Tänzer mehr auf den Kopf: ein erstaunlich konventionelles Programm beim neuesten Noverre-Abend

Stuttgart, 11/06/2010

Dieser Noverre-Abend hätte auch vor dreißig Jahren stattfinden können. So viel klassische Pas de deux, so viel Tanz auf Spitze gab es selten bei den „Jungen Choreografen“, gegen Ende bekam man im Stuttgarter Schauspielhaus richtig Sehnsucht nach einem frechen, dreckigen Stück Tanztheater. Was ist bloß mit den jungen Künstlern los? Natürlich bleibt die Zusammensetzung eines solchen Abends immer ein Zufall, aber die Tendenz zum guten alten Ballett war schon erstaunlich.

Allein die Musik verortete uns in der Gegenwart, Alfred Schnittke war schon der älteste unter den Komponisten. Praktisch alle anderen Stücke des Abends verwendeten aktuelle Instrumentalmusik, die beliebt-beliebige Mischung aus Minimal Music, Elektronik und Filmmusik, mal zur intellektuellen Moderne, mal ins Jazzige und mal ins Süßliche tendierend und immer eine peppige Begleitung, ob die Komponisten nun David Lang, René Aubry oder Clint Mansell hießen. Es ist Musik, die eine gute rhythmische Grundlage bietet und auch durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen führt, aber sie fordert die jungen Choreografen nicht heraus, bildet kein ernsthaftes Gegenüber. Auffallend war aber auch, wie sorgfältig alle zehn Werke bis in feinste Nuancen der Phrasierung ausgearbeitet waren, wie begeistert, ja fast ehrfürchtig sie die Talente ihrer Interpeten herausstellten. Und wie viele Stücke keinen rechten Schluss fanden, sondern einfach irgendwie mittendrin ausgeblendet wurden.

Die Herausforderung ans Publikum bestand im Grunde darin, die minimalen Abweichungen vom Schrittrepertoire der klassischen Moderne überhaupt zu bemerken. Eine neu erfundene Hebung war schon ein Ereignis, wie in Brent Parolins Adagio-Pas-de-deux „Slight Erosion“ oder in Raimondo Rebecks allzu konventioneller „Elegie der Herzen“, die allein von der Kunst der beiden Berliner Tänzerstars Iana Salenko und Marian Walter lebte. An Emil Faskis Trio für drei sich zierende Damen waren die giftgrünen Trikots noch das Originellste – dass Myriam Simon, Rachele Buriassi und Alessandra Tognoloni tolle Beine und eine gute Technik haben, wussten wir schon. Sébastien Galtier tendierte mit seinem Pas de deux „Step Addition“ zur knackigen, zackigen Forsythe-Schule der 80er Jahre, während Joseph Morrissey vom Bayerischen Staatsballett deren Attribute in eine dunkel-elegante Rasanz einfließen und vor allem Roman Novitzky, Neuzugang im Stuttgarter Corps de ballet, gut aussehen ließ

Am Rande der technischen Möglichkeiten der Danse d’ecole immerhin forschte Damiano Pettenella: Der italienische Solist der Stuttgarter Kompanie forderte Elisa Badenes und William Moore mit akrobatischen, ja halsbrecherischen Würfen die äußerste Virtuosität ab.

Nicht nur die Klassik, auch der Modern Dance kann konventionell aussehen. Lucas Jervies vom Rotterdamer Scapino-Ballett schien eine ganze Geschichte erzählen zu wollen, so atmosphärisch begann sein Stück „a scene of common trinity“, mit drei düsteren Schauplätzen und der Personenkonstellation aus Jean-Paul Sartres „Geschlossener Gesellschaft“. Dennoch blieben die Beziehungen zwischen der Burschikosen, der Fraulichen und dem Seriösen völlig unklar, die Tanzsprache spannungslos. Dass man Tänzer auch mal auf den Kopf stellen oder auf den Boden legen kann, fiel an diesem Abend nur den jüngsten Teilnehmern ein.

Der 19-jährige Münchner Louis Stiens, derzeit Student an der John-Cranko-Schule, zeigte seinen Mitstudenten Robert Robinson in zerrissenen, sehr authentisch wirkenden Solo, das irritierende Zeichen der Hände mit der Körperspannung des Jazz-Dance kombinierte. Auch dem kaum älteren Briten David Moore aus der Stuttgarter Kompanie fielen unendlich mehr Bewegungen ein als seinen Kollegen: die rasante Virtuosität seiner drei dämonisch angemalten Kobolde kippte er ins Groteske und mischte Spuren von Folklore, Slapstick oder völlig neue Ideen hinzu, noch ein bisschen wirr vielleicht, aber jedenfalls originell.

Vielleicht lag es doch an Alfred Schnittkes Musik, dass das Schrittvokabular in „Voices“ von Martin Chaix nicht so gebraucht aussah wie in den anderen Pas de deux. Immer wieder attackierte Katja Wünsche ihren Partner Laurent Guilbaud mit Sprüngen, beide zögerten am Rande eines Lichtkegels entlang – der französische Choreograf, der in Martin Schläpfers Düsseldorfer Kompanie tanzt, hätte seine Interpreten nicht mal in knisterndes Cellophan packen müssen, schuf er doch als einer von wenigen an diesem Abend Bewegungen mit Bedeutung.

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