Tanz, der hier nicht stattfindet

Eszter Salamons „Dance for Nothing“ bei Dance 2010

München, 06/11/2010

Das vorneweg: Man hätte nach der Darbietung von Eszter Salamons „Dance for Nothing“ gehen sollen und ihr damit zu dem Recht verholfen, nachzuwirken, auch wenn die Diskussion mit dem Publikum im Rückgriff auf das Original von John Cages „Lecture on Nothing“ als integraler Bestandteil des Aufführungskonzeptes vorgestellt worden war. Denn was Salamon am Donnerstagabend bei DANCE in der Black Box im Gasteig inszenierte, war vom energetischen Ergebnis her zwar ebenso dicht, wie es reizvoll war, ein aktuelles Konzept negativen Tanzes, also nicht stattfindenden Tanzes in Differenz zu Tanz live zu erleben. Das Gespräch danach, von Salamon auch noch selbst moderiert, kaum war ihre Performance beendet, konnte die jedoch einmal erlebte Aufführung in ihren weiteren Tiefenstrukturen nicht weiter erhellen. Da wäre eine unabhängige Einführung in Salamons Projekt und eine Kontextualisierung von Vorteil gewesen.

Was war zu sehen: Eszter Salamon betrat um 18 Uhr in schwarzem T-Shirt und Hose und knallgrünen Turnschuhen das gut 50 Qadratmeter große schwarze Tanzfeld. An dessen Seiten: die Zuschauer. Salamon informierte, dass die Performance „Dance for Nothing“ 43 Minuten dauerte und es nichts zu sagen gebe. Freundlich in die Runde blickend und ruhig weitergehend, hob sie dann an, John Cages „Lecture on Nothing“ aus dem Jahr 1949 originalgetreu zu repetitieren: ein spannender, rhythmisch strukturierter und organisierter Text, der eigentlich eine musikalische Komposition repräsentiert. Nach und nach und auf mehrere Abschnitte verteilt, die jeweils angesagt werden, setzt sich der Text aus formalen Aussagen über Struktur, Material, Form, Geräusch und die Empfindung des Vergnügens und der Freude zusammen. Die für die Kunst notwendige Zwecklosigkeit der Dimensionen wird unter den Stichworten des „nothing“ und des „nowhere“ als Postulat der Bedeutungslosigkeit proklamiert. Dem immerwährenden Redefluss Salamons ausgesetzt, fängt der Blick einen beginnenden Bewegungsfluss ein. Salamon bewegt sich sprechend wie absichtslos. Sie gebärt ihre Bewegungen im Moment und macht sie durch Wiederholungen und Veränderungen in den Größenverhältnissen zu einer Erfahrung ihres eigenen Körpers. Ihre fortlaufenden Bewegungen im Blick, imaginiert man plötzlich einen Tanz, der hier nicht stattfindet, eine Empfindung des Tanzens und des Tanzenden, ohne dass es auf dem Tanzboden vor einem hierfür eine Entsprechung geben würde.

Ein Zusammenhang zu spezifischen Textstellen ist manchmal herstellbar, manchmal nicht. Die Bewegungen sind sehr simpel, oft vom Handgelenk, der Hand oder dem ganzen Arm ausgehend, die Knie fallen immer wieder sanft nach innen, das Becken folgt und übernimmt. Nach einer Sprechpause, in der ihre zufällig entstehende minimalistische Bewegungstextur weitergeht, setzt sie die Repetition mit all ihren Wiederholungen fort. Immer wieder denkt man an Yvonne Rainers berühmtes Manifest „No“, an Merce Cunninghams aleatorisches Verfahren der Choreografie, an Dekonstruktion. Was ist Salamons „Dance on Nothing“ fragt man sich am Schluss? Worin besteht wirklich der künstlerische Eigenwert? Das Experiment, Cages „Lectures on Nothing“ auf Tanz zu übertragen, ist noch nicht vollendet.

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