Moderne Körpersprache – von Rezitatoren und Poeten

Zum Abschluss des Regensburger Tanzfestivals „Schleudertraum 6“

Regensburg, 23/03/2010

Minutenlang tanzt ihr Rücken. Selbst, wenn er gebeugt ist, scheint er aufrecht. Selbst, wo er stark gespannt ist, durchläuft ihn eine definierte Zartheit. Nie ist Nylea Mata Castilla ganz erstarrt. Sie ist Tänzerin bis in die tiefste Feinmuskulatur hinein. Sie nutzt ihren Körper nicht, um pure Athletik vorzuführen, sondern, um ihm lebendige Geschichten einzuschreiben. Selbst jede noch so kleine Bewegung ist bei ihr klar gedacht. Die besten tänzerischen Voraussetzungen, um ein Stück spannend auszuführen, das viel am Platz stattfindet – auch eine choreografische Herausforderung für Alexandra Karabelas bei „Landscape, three of them“.

Ganz in schwarz bietet Nylea Mata Castilla dem Publikum zunächst nur ihre Rückenansicht. Selbst die Haare sind von einer Haube verhüllt. Dann fällt das Tuch mit einem musikalischen Akzent, der pechschwarze Haarknoten im Nacken liegt selbstbewusst frei, die Tänzerin wendet sich und blickt mit Bestimmtheit in die Ferne. Nicht nur Nylea Mata Castillas Rücken tanzt, auch ihr Gesicht tut das. Aber ohne die Übertreibung einer Maske, lediglich mit der Deutlichkeit eines Gefühls, das von innen heraus entwächst. Und so scheint sie im Einklang mit der italienischen Musik der Wind der Abruzzen zu sein, die Berge der Landschaft, der Charakter der Bergbewohner, man weiß es nicht genau und das ist auch gut so. Denn die Choreografie ist keine Vergegenständlichung einer Gegend, mehr ein architektonischer Körperversuch, der ein Stück Landschaftsseele erahnen lässt, der Körperteile gezielt dramaturgisch einsetzt, von Impulsen lebt und von Gegensätzen. Der Atem der Tänzerin kommentiert und animiert ihre eigenen Bewegungen, die Einheit von Choreografie, Tanz und Musik wirkt stimmig.

Ein harmonischer Anfangsakzent für den vorletzten Abend von „Schleudertraum 6“, dem regionalen Tanzfestival in Regensburg, veranstaltet von der tanzstelle R. Was jedoch direkt darauffolgte, war das Kontrastprogramm zu Karabelas' Auftaktstück. Auch wenn gesagt werden muss, dass die Grundidee von „Maria – Callas“ dramaturgisch spannend ist: Zwei Künste treffen aufeinander – Tanz und Gesang. Ihr Darstellungsgegenstand: Die zwei Seiten der Sopranistin Maria Callas. Das einfache Mädchen Maria und die große Diva Callas. Dementsprechend sind auf der Bühne zwei Tänzerinnen: Ute Steinberger und Elisabeth Herrmann, die das Stück auch choreografiert hat.

Beide gleich angezogen, in schwarzem Kleid bis zu den Knien, die langen Haare geöffnet. Zunächst tanzen sie als Spiegelbild, sie ziehen sich an, stoßen sich ab, die zwei Gesichter einer Frau. Diese Überdeutlichkeit der Körpersprache ist choreografisches Merkmal von „Maria – Callas“. Daher wirkt das Stück aber leider durchgängig weniger als Tanz denn vielmehr als verzweifelte Buchstabiererei, wobei das Publikum scheinbar für analphabetisch gehalten wird. Denn im Verlauf des Stücks steigern sich so unsubtile Körpergesten wie ein Sich-aufs-Herz-Schlagen dahingehend bis zur Erbarmungslosigkeit, als dass sie auch noch in gemeine Sprache übersetzt werden. Ute Steinberger übernimmt das, während Elisabeth Herrmann weiterhämmert: „Herzschmerz“, liest sie aus einem Brief der Callas vor.

Die tänzerische Sprache von „Maria – Callas“ bedient sich in erster Linie des konventionellen modernen Wörterbuchs, und schafft es dabei kaum, eigenen Ausdruck zu finden. Sie traut sich nicht, etwas Eigenes zu sein und alleine für sich zu stehen. Die Choreografie wirkt daher formelhaft, ohne mit dem Zitierten selbst zu arbeiten. Sie bleibt ernst gemeinte Kopie. Zudem scheinen die Bewegungen bei beiden Künstlerinnen wie mit dem Körper gemacht und nicht aus ihm herauskommend. Was daran liegt, dass bei Ute Steinberger und Elisabeth Herrmann nie der ganze Körper tanzt, dass er partiell steif und unbeteiligt wirkt. Und ob es eine gute Idee ist, auf der Bühne ernsthaft zu singen, wenn Maria Callas qua Titel der Maßstab ist, ist eine ganz andere Frage.

Wenn die Macher von „Schleudertraum 6“ das Publikum zu diesem Zeitpunkt aufgefordert hätten, auf einem Stück Papier zu notieren, was es fühlt, wäre das wohl nicht so schlau gewesen. Diese Handlungsanweisung kam aber erst in Bezug auf das dritte und letzte Stück des Abends. „Peanuts dance Peanuts II“, die Fortsetzung eines Tanz-Theaterstücks über die Sehnsüchte der Mittdreißiger von 2008. „Peanuts II“ sollte diesmal eine Stellungnahme sein. Beispielsweise in Bezug auf die Weltereignisse, die sich seit „Peanuts I“ ereignet haben – Obama, Finanzkrise, Afghanistankrieg. Das alles läuft schließlich als Parallelfilm zu dem eigenen kleinen Leben ab und spielt mit hinein in die eigene Biographie. Allerdings ist es schwierig, wirkliche Stellungnahmen, gesellschaftspolitische Positionen in „Peanuts II“ zu erkennen. Vielmehr offenbart sich ein humoristischer, spielerischer Umgang mit Zeitgeschichte.

Während dieses Gewitters an Themen und Impressionen innerhalb von 40 Minuten Performance soll jeder Zuschauer – so der Wunsch der Choreografin Alexandra Karabelas – in sich selbst hineinhorchen, die wechselnd aufflammenden Gefühle notieren und den Zettel am Ende der Veranstaltung in eine Box werfen. Alexandra Karabelas wertet sie dann aus und stellt sie auf ihre Homepage tanz-denken.de. Eine interessante Art, vom Publikum Interaktivität einzufordern und es dazu zu animieren, darüber nachzudenken, was das Gesehene ihm selbst zu tun hat. Aber von dem ein oder anderen vielleicht etwas zu viel verlangt, das alles zu tun, während er das Stück zum ersten Mal sieht. Denn es ist nicht einfach zu fassen. Es changiert beständig, erzählt die Themen nie zu Ende, reißt nur an bis sich organisch die Möglichkeit ergibt, zum nächsten zu gehen. Kreativ, witzig, leicht. Das muss man erst einmal schaffen, innerhalb von fünf Minuten vom Soldatentraining in Afghanistan zu einer freundlichen Publikumsbeschimpfung zu kommen, die als Klage über die geringe Entlohnung von Tänzern und Choreografen getarnt ist. Dabei ziehen sich die Lockerheit und der Humor durch sämtliche Themen aus dem Kosmos der Mittdreißiger, so schwer und existentiell sie auch sein mögen. Das Lachen des Publikums ist das über Worte, Gesten, über das Zusammenspiel der Tänzer, über choreografische Einfälle, über Überraschendes.

Neben abermals Nylea Mata Castilla sind es vor allem Wolfgang Maas und Andrew Hill, die tänzerisch auffällig gut sind – auch wenn bei Peanuts Dance niemand wirklich schlecht tanzt. Also auch Kilta Rainprechter und Tina Essl mehr als eine solide Leistung zeigen. Beide beweisen zudem noch, dass sie ausgesprochene mimische und stimmliche Fähigkeiten haben. Aber es ist vielleicht nicht nur die Kraft, die männliche Tänzer oft die weiblichen überstrahlen lässt, sondern in dem Fall wohl auch der dramaturgische Paukenschlag, mit dem die beiden Männer die Performance beginnen konnten. In militärischen Sturmmasken und mit einem schusssicheren Brustgurt ausgestattet, durchpflügen sie die Bühne mit einer Mischung aus militärischem Drill und Kinderspiel, ganz ohne Musik, aber so wild, dass sie fast auch als Body-Percussionisten hätten durchgehen können. Denn der Rhythmus ihrer Füße, das Wummern des Bühnenbodens, das Peitschen ihrer Hände ergibt eine ganz eigene Musik. Das Gefühl, das in diesem Moment im Publikum zu spüren war, entsprach dem Wort: Wow. Ob es einer auch notiert hat, werden wir wohl bald auf tanz-denken.de erfahren. Aber die Vermutung liegt nahe: Nein. Denn alle waren zu dem Zeitpunkt wahrscheinlich mit Staunen beschäftigt.

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