Was erfahren wir aus Toronto über indischen Tanz?

Nova Bhattacharya mit „Incantations“ bei „Tanz! Heilbronn“

Heilbronn, 04/06/2009

„Incantations“, also Zaubersprüche, Beschwörungsformeln, überschreibt Nova Bhattacharya den Tanzabend, in dem sie vier Solostücke zeigt, jedes von einem anderen Choreografen. Warum drei davon Europäische Erstaufführungen sind, erschließt sich schnell: Sie langweilen ob ihrer prätentiös dargebotenen Belanglosigkeit. Lediglich das 17-minütige „Calm Abiding“ (2006), von José Navas, dramaturgisch geschickt ans Ende des Programms gesetzt, erntet mehr als nur höflichen Applaus.

Der in Venezuela geborene Choreograf und Tänzer gehört zu den Reduktionisten der aktuellen Tanzszene. Leere Bühne, schlichtes Kostüm, sparsames Licht, erweist er sich in der Kooperation mit der in Kanada geborenen Inderin einmal mehr als sensibler Erforscher purer Bewegung. „Calm Abiding“ (Der Ruhe folgend) ist eine Eng- und Zusammenführung seiner Prämisse von der Meditation in Bewegung mit Fragmenten des klassisch-indischen Tanzes. Dem sakralen Kontext entkleidet, bekommen die formalisierten Handgesten und das Stakkato stampfender Fußrhythmen eine eigene Dynamik. Die für Bharatanatyam typische Geschmeidigkeit des Rumpfes, die blitzschnellen Drehs um die eigene Achse sowie die ausgefeilte Sprache der Augen sind bei Nova Bhattacharya nicht zu sehen. Allein rasante, linear den Raum durchschneidenden Travel-Sequenzen faszinieren, nicht zuletzt dank des raffinierten Klangteppichs, in den der kanadische Sounddesigner Alexander MacSween Anleihen indischer Musik webt.

Wie Farbmuster aus dem Katalog eines Textildesigners schmückt eine Girlande bunter Fähnchen den Bühnenhimmel. Auch das orientalisch anmutende Kostüm in den Primärfarben Gelb, Rot und Blau ist hübsch anzusehen, füllt aber nicht die gähnende Leere von Peggy Bakers 20 Minuten-Choreografie „Map of the Known World“ (2000). Noch ärger Laurence Lemieux’ Kostümtänzchen „Rufty Tufty“ (2008): Zu einer leicht verfremdeten „Sonate in Form eines Prelude für Cembalo, Oboe und Horn“ (Steven Stucky) huscht die Darstellerin in gelb-samtigem Renaissancekleid samt Kopfputz barfuss über die Bühne. Ausgetüftelte Lichtbahnen (Marc Parent) zeigen den Weg, an dessen Ende – ja da schau her – ein Schuhpaar auf die Lady wartet. Nach 15 Minuten fertig zum Auftritt, verbeugt sie sich – unter tosendem Applaus aus der Dose – zum imaginierten Publikum auf der Rückseite der Bühne. Sollte wohl lustig sein, ist bestenfalls albern – und ärgerlich.

Wie Bewegungsmalerei aus guten, alten Ausdruckstanzzeiten kommt „Maskura“ (2001) daher. Warum der 12-Minüter Marke Eigenbau, ein träges Lamento im bodenlangen, schwarzen Gewandt, als „bahnbrechendes Werk des zeitgenössischen Bharatanatyam“ gilt (wie das Programmheft vermerkt), wird das Geheimnis der Tänzerin bleiben. Sie meint übrigens, um ihren Tanz zu verstehen, seien Kenntnisse des indischen Tanzrepertoires nicht nötig. „Man solle sich ihrem Stil nähern, wie allen Formen des zeitgenössischen Tanzes: mit Offenheit“. Dann sind wir mal ganz offen: Dieser pseudomoderne Tanzimport mit exotischem Touch aus Toronto ist nicht der Rede wert. Und je höher die vermeintlich werbewirksam geklopften Sprüchen die Messlatte ansetzen – von „charismatisch“ bis „bahnbrechend“, desto leichter läuft die Darbietung drunter durch.

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