Verloren im Labyrinth des Videoclips

„Is you me“ mit Benoît Lachambre

Berlin, 24/08/2009

Wie in einem Musikclip flackert das Licht auf der Bühne. Schwarze Elemente titschen von der Bühnendecke zum Boden und zurück. Dazu erklingen elektronische Beats, die stetig lauter werden. Auf der Bühne ist eine weiß bedeckte Platte schräg zum Zuschauer aufgestellt. Sie teilt den Bühnenraum horizontal entzwei: in Hintergrund und vordere Fläche. Alles ist weiß und bietet eine Projektionsfläche für Computeranimationen und visuelle Kunst. Zwischen Hintergrund und vorderer Fläche taucht ein Zipfel auf. Zunächst kaum erkennbar, da er genauso schwarz ist, wie die fliegenden Elemente. Er bewegt sich jedoch langsamer.

Der Zipfel gehört zur Kapuze des Tänzers und Choreografen Benoit Lachambre. Er hangelt sich auf die Schrägfläche. Leider ohne seine Tanzpartnerin Louise Lecavalier, die aufgrund eins Todesfalls nicht dabei sein kann. Der Kapuzenmann tanzt auf der schrägen Fläche und wirkt verloren. Seine Bewegungen sind zu Beginn langsamer als die der Hintergrundprojektionen. Sie stammen von dem Medienkünstler Laurent Goldring, der links neben der Bühne an seinem Computer steht und konzentriert auf den Computerbildschirm sieht. Einige Szenen sind vorgefertigt, wie ein Videoausschnitt, in dem eine Windschutzscheibe im Regen zu sehen ist.

Größtenteils entsteht die Kunst allerdings direkt vor Ort. Die Zeichnungen und Ausschnitte fertigt Laurent Goldring parallel zum Tanz Lachambres. Der Tänzer bewegt sich bis ganz nach oben auf der weißen Fläche, während ein Stift einen Teil der Hintergrundfläche ausmalt, als wolle er die Tanzbewegungen unterstreichen. Alles geschieht im Takt zur Musik von Hahn Rowe. Der New Yorker DJ und Komponist steht ebenfalls direkt neben der Bühne und mischt seine Tracks. Künstler, Tänzer und Musiker sind perfekt aufeinander abgestimmt. Zu Beginn dominierten Musik und Bildelemente, dann scheint Benoit Lachambre die Führung zu übernehmen. Er setzt sich in Szene, tanzt vor dem ständig wechselnden Hintergrund. Dazu zeichnet Laurent Goldring unermüdlich und beobachtet dabei den Tänzer. Sind Körper und Computer Gegenspieler oder gleichberechtigte Teile des Ganzen? Die Rollenverhältnisse, Ursache und Wirkung, Echtzeit und virtuelle Bewegung sind nicht immer klar zu bestimmen. Manchmal scheint das Geschehen, wie ein Dialog gleichwertiger Partner, dann wieder wirkt der Tänzer in der multimedialen Szenerie wie eine Marionette, die keine Chance gegen Licht- und Computereffekte hat. Wenn er will, kann er das Geschehen selbst bestimmen, durch langsamere Bewegungen, indem er sich der Schnelligkeit der computergesteuerten Bewegungen widersetzt. Schließlich scheint sich Benoit Lachambre jedoch auszuliefern: dem Licht, der Szenerie, der Projektion. Die virtuelle Komponente ist schneller, lauter, heller als die Bewegungen des Tänzers. Der Zuschauer verfolgt die Facetten des Geschehens hoch konzentriert. Derart werden seine Sinne sonst kaum beschallt. Ein Abend, der in seiner virtuellen Schnelllebigkeit einen bleibenden Eindruck hinterlässt.

Autorin: Ruth Wolter

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