Die leise Ahnung von Glück

Was in Amerika in ist: Benjamin Millepieds Kompanie Danses Concertantes gastiert in Deutschland

Ludwigsburg, 20/11/2009

Gleich zwei der drei Choreografen, die man in Amerika derzeit für die Heilsbringer im neoklassischen Ballett hält, beschert diese Woche ein glücklicher Zufall dem neugierigen Tanzpublikum Baden-Württembergs: Der Franzose Benjamin Millepied war mit seiner Kompanie Danses Concertantes in der Tanzreihe des Ludwigsburger Forums zu Gast, der Brite Christopher Wheeldon studiert derzeit seinen „Schwanensee“ in Karlsruhe ein (Premiere ist am Samstag). Fehlt mit dem Russen Alexei Ratmansky nur der Dritte im Bunde, er beschränkt sein Schaffen derzeit auf Moskau und New York. Millepied, der auch schon beim Dortmunder Ballett zu Gast war, gilt künstlerisch als der Junior unter den Dreien, er tanzt als Erster Solist beim New York City Ballet und choreografiert seit acht Jahren. Seine „Danses Concertantes“ sind weniger eine Kompanie als ein Projekt, das immer neu zusammengestellt wird, meist mit Tänzern des American Ballet Theatre, die dem Ruf der berühmten Kompanie bei ihrem Gastspiel in Ludwigsburg nicht immer Ehre machten.

„Without“ hieß das Hauptstück des Abends, entstanden ist es im letzten Jahr und erinnert ganz bewusst an Jerome Robbins, den Mentor und das große Vorbild des jungen Franzosen. Fünf Paare, einfach gekleidet in unterschiedlichen Farben, dazu Chopin-Klavierstücke: das Werk bezieht sich eindeutig auf Robbins‘ Meisterwerk „Dances at a Gathering“ („Yes, Virginia, another piano ballet“, möchte man da fast mit Les Ballets Trockadero und dem Titel ihrer brillanten Robbins-Parodie ausrufen). Die melancholisch getönte Heiterkeit des viel gerühmten, viel gedeuteten Robbins-Werkes versucht Millepied dunkler einzufärben, indem er vom Verlust eines Geliebten (des Tänzers in Rot) erzählt, indem er das Bühnengeviert mit hohen, nachtblau changierenden Vorhängen umgibt, aus denen die Tänzer immer wieder überraschend hervorschießen. Wohl choreografiert der 32-Jährige musikalisch und strukturiert sein Stück durch Leitmotive oder unterschiedliche Ensemblekombinationen, aber der Bewegungsfluss sprudelt eher beflissen als intellektuell durchdacht und fällt der frenetischen Betriebsamkeit so vieler junger Choreografen anheim: lieber ein Schritt mehr als einer zu wenig. Den Tänzern lässt diese Rastlosigkeit nicht die Muße, die neoklassischen Schritte wirklich zu beleben, sie mit Schönheit zu erfüllen. Auf die zarten folkloristischen Anklänge der „Dances at a Gathering“ verzichtet Millepied, aber leider auch auf Robbins‘ raffinierte Dynamik, die wesentlich tiefer in die Seele der Musik hineinlauscht. Der herausgeforderte Vergleich zeigt letztlich nur, wie weit der Schüler noch von der Meisterschaft seines Vorbilds entfernt ist. Dass Millepied auch anders kann, bewies er im hellen Pas de deux „Closer“ zu Klaviermusik von Philip Glass, ausnehmend schön gespielt von Pedja Muzijevic. Hier ließ das ruhige Fließen, die zarte Vertrautheit zwischen Mann und Frau den Interpreten wirklich Zeit, schön zu tanzen, hier waren die klassischen Bewegungen immer wieder von Emotion durchdrungen, hier entstand hin und wieder die leise Ahnung, dass es zum reinen Ballettglück nicht mehr braucht als zwei Tänzer, ein Klavier und eine leere Bühne. Nicht von den schwierigen Hebungen, aber von der Lyrik und Emphase der Choreografie überfordert wirkte neben Maria Riccetto der amerikanisch-stabile Blaine Hoven.

Was für ein Glück aber für uns kopflastige Mitteleuropäer, die wir in Sachen Ballett-Avantgarde einfach anders ticken als die tanzwütigen Amerikaner, dass Millepieds Kompanie auch einen frühen Forsythe dabei hatte: „Steptext“ ist über 20 Jahre alt und verharrte schon damals nicht im Nachbuchstabieren der Neoklassik, sondern erforscht sie als Steinbruch, übt sich mit allem Respekt in Dekonstruktion (darüber ist William Forsythe schon lange wieder hinaus und versetzt heute fröhlich die Körper in Kontorsionen). Die vier Tänzer, speziell die Herren Cory Stearns und Matthew Dibble, zeichneten plastisch all die Kanten und scharfen Linien des Stücks in den Raum und bewiesen dennoch Persönlichkeit – eine ausgefeilte, großartige Interpretation. Auf Millepieds Stücke reagierte das Ludwigsburger Publikum freundlich, aber ein wenig reserviert, der übermüdete Choreograf ließ sich die Enttäuschung darüber im anschließenden Publikumsgespräch anmerken und outete sich als Fan von Martin Schläpfer.

www.benjaminmillepied.com

www.forum.ludwigsburg.de

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern