Zweierlei Antipasti der Cucina Italiana

Aterballetto mit zwei Bigonzetti-Choreografien im Forum am Schlosspark

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Ludwigsburg, 07/10/2008

Mit den für das Stuttgarter Ballett kreierten „Kazimir's Colours“ hat Mauro Bigonzetti 1996, damals sechsunddreißigjährig, seinen internationalen Durchbruch erzielt – zu verdanken nicht zuletzt dem Spürsinn des frisch gekürten Stuttgarter Ballettchefs Reid Anderson (und den famosen Stuttgarter Tänzern, darunter Margaret Illmann und Robert Tewsley). Heute gilt der gebürtige Römer, der als junger Tänzer zum Aterballetto gestoßen war und inzwischen dessen Chefchoreograf ist, als Italiens Ballettbotschafter Nummer eins, dessen Stücke nicht zuletzt in unseren Breiten (außer in Stuttgart inzwischen auch in Berlin, Dresden, Dortmund, Hannover und Zürich) sich einer noch immer wachsenden Popularität erfreuen.

Das zeigte sich auch beim jüngsten Gastspiel von Aterballetto im Ludwigsburger Forum am Schlosspark, wo die Italiener mit zwei Balletten von Bigonzetti zu Gast waren. Was dem Publikum offensichtlich besonders gefiel, war der enorme Energieschub, mit dem die Tänzer sich in Bigonzettis zum Teil ausgesprochen waghalsige Choreografien stürzten, ihre tollkühne Teufel-komm-raus-Mentalität, die mehr auf Spontaneität als auf Raffinement setzt. Mit ihrem „Omaggio a Bach“, Jahrgang 2000, einem Medley, das mit einer Grubenlicht-Prozession zur Aria da capo aus den „Goldberg-Variationen“ beginnt und mit deren Finale auf dem Akkordeon endet, erwies sich diese „Ehrung“ des Thomaskantors als doch sehr gewöhnungsbedürftig – zumal in dieser grässlich plärrenden Wiedergabe der kunterbunt zusammengestellten Kompositionen aus dem Lautsprecher. Wobei die Tänzer in ihren Soli wie in ihren bald reißbrettartig strukturierten Gruppenformationen, dann wieder in ihren michelangelesk verklumpten Höllenstürzen wie die zum Leben erweckten Athleten-Statuen des Marmorstadiums im Foro Italico wirkten: Tanz-Olympioniken des Berlusconi-Zeitalters.

Ganz anders die Huldigung, die Bigonzetti mit seinen 2004 geschaffenen „Rossini Cards“ dem Schwan von Pesaro zollte, mit Bruno Moretti, seinem ständigen musikalischen Alter Ego (wie auch in seinen Stuttgarter „I fratelli“) am Flügel im Orchestergraben, in den sich die Tänzer am Schluss, katapultiert von der Ouvertüre zur „Diebischen Elster“, einer nach dem anderen wie in einem kollektiven Selbstmord stürzen. Das ist ein Ballett, dem der Pointen-Schalk aus den Füßen sprüht, nachdem es zuvor mit einem höchst gesitteten Table-d'hôte-Diner der ganzen Kompanie zum großen „Cenerentola“-Concertato begonnen hatte. Wie das Amphibienwesen, das da unter dem Vorhang hervorquillt, sich peu à peu auseinanderdividiert, seine Gliedmaßen sortiert und, zäh aneinander klebend, aus den abenteuerlichsten Verschlingungen zu lösen versucht, zeugt von Bigonzettis offenbar unerschöpflicher Erfindungskraft – der hier aus einer atmenden Geschwulst ein Paar formt: Adam und Eva aus der Choreografiemasse, aus der Benvenuto Cellini einst seinen Perseus schuf.

 

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