Prinzessin liebt Schwanenmann

Wherlocks überraschendes Ballett „A Swan Lake“ in Basel uraufgeführt

Basel, 13/01/2008

Nun hat auch das Theater Basel seinen „Schwanensee“, choreografiert und inszeniert von Ballettchef Richard Wherlock. Er gibt dem Stück den leicht abgeänderten Titel „A Swan Lake“. Es ist keine feinsinnige Interpretation des Tschaikowsky-Klassikers, aber griffig, fantasievoll, ziemlich kitschfrei – und vital getanzt vom 26-köpfigen Ensemble. Bei der Premiere gab es großen Applaus für das Prinzenpaar (Marius Razvan Dumitru und Aurélie Gaillard), den dämonischen Hofkanzler-Zauberer (Michaël Lamour), dessen Tochter (Ayako Nakano) und Sohn (Sergio Bustinduy), die Mutter der Prinzessin (Cristiana Sciabordi) – und all die Schwäne, männliche und weibliche, weiße und schwarze.

Doch halt! Warum ist der Zauberer auch Hofkanzler? Die Prinzessin ein normal heranwachsendes Menschenmädchen, der Prinz dafür ein verwunschener weißer Schwan? Das kommt im Originallibretto doch so nicht vor! Tatsächlich hat Richard Wherlock die Männer- und Frauenrollen teilweise vertauscht. Der männliche Schwan, in den sich die Prinzessin verliebt, ist halb nackt, trägt lediglich einen hellen Slip und auf dem Rücken eine Tätowierung. Etwas verlegen bewegt er sich unter neun weiblichen Schwänen. Diese tragen die bekannten Tüll-Tutus, haben aber keinen Federschmuck im Haar und keine Spitzenschuhe an den Füssen, sondern tanzen bestenfalls auf Halbspitze.

Die Kernszenen des traditionellen „Schwanensee“ wie die großen Pas de Deux der beiden Liebenden, die geometrisch geordneten Schwanenreihen in Arabesque-Haltung oder der Auftritt der vier kleinen Schwänchen kommen bei Wherlock so nicht vor. In seiner Choreografie mischt er klassischen mit zeitgenössischem Tanz - ähnlich wie in seinen früheren Inszenierungen von traditionellen Handlungsballetten („La Sylphide“, „Nussknacker“). Die Stilmischung gelingt ihm in „A Swan Lake“ besonders gut. Man vermisst zwar eine gewisse Delikatesse, genießt dafür tänzerische Attacke und viel jugendlichen Charme, heterosexuelle Erotik inklusive.

Mit dem Geschlechtertausch der Hauptfiguren in „A Swan Lake“ ist es bei Wherlock noch längst nicht getan. Sein mächtig schillernder Zauberer hat zwar den Namen Rotbart verloren, dafür das Amt eines Hofkanzlers hinzugewonnen. Ein politischer Intrigant, der die königliche Macht an sich reißen möchte. Er hält seine Stellung ad interim für die Prinzessin und ihre sechs Brüder, alle verwaist und minderjährig. Und hier mischen sich nun kräftig die Brüder Grimm mit ihrem Märchen „Die sechs Schwäne“ ein: Auch diese Vögel sind verwunschene Königskinder, die ihre menschliche Gestalt zurückgewinnen wollen.

In Basel erlebt man die Brüder erst als muntere Tanzvirtuosen, dann als verwunschene Schwäne, wiederum ohne Tutu, aber mit gezeichneten Federn auf dem Leibchen. Sehr gelungen. Ihre Rückverwandlung in normale Jungs dank dem Sprung durch ein Gespinst von Sternblumen und Mondlicht, das die Prinzessin verfertigt hat, kommt auf der Bühne allerdings nicht plastisch zum Ausdruck. Ueberhaupt scheint es gegen Ende des Balletts etwas geeilt zu haben. Tschaikowskys farbige Nationaltänze, meist von Sohn und Tochter des Zauberers getanzt, wirken eintönig. Der Schluss bleibt unklar: Das Liebespaar ist vereint, doch der Zauberer und seine Kinder posieren hinten auf einem schwarzen Podest. Will Wherlock damit sagen, dass das Böse nie stirbt? Männliche Schwäne im Ballett sind übrigens nicht Wherlocks Erfindung. Man begegnet ihnen schon in den „Schwanensee“-Versionen von Mats Ek (1987) oder Matthew Bourne (1995). In der gesellschaftlichen Umdeutung des Inhalts und auch der Tanzsprache sind diese beiden Choreografen wesentlich radikaler als Wherlock, dessen Märchenwelt doch weitgehend dem 19. Jahrhundert verhaftet bleibt (was nicht als Werturteil gemeint ist).

David Garforth dirigiert das Sinfonieorchester Basel. Sie spielen den „Schwanensee“ plastisch und unzimperlich in jener Fassung, die Peter Tschaikowsky für die (längst vergessene) Uraufführung am Bolschoi (1877) komponiert hatte. Also ohne Dreingaben à la Drigo und Minkus, wie sie Marius Petipa/Lew Iwanow für ihre stilbildende St. Petersburger Choreografie (1895) verwendeten. Die einzelnen Sätze der Tschaikowsky-Originalfassung werden aber in Basel so unbefangen umgestellt, wie es zu Wherlock passt.


Uraufführung: 11. Januar 2008, Theater Basel, Große Bühne

Link: www.theater-basel.ch

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