Nurejew-Nachlese

Eine Geburtstags-Bilanz

oe
Stuttgart, 26/03/2008

Ein bisschen dürftig fällt sie aus, die Schlussbilanz der Veranstaltungen anlässlich des siebzigsten Geburtstags von Rudolf Nurejew. Natürlich habe ich nicht alle Zeitungen gelesen, aber dass die renommierte FAZ mit keinem Wort darauf hingewiesen hat und auch die Süddeutsche Zeitung nicht – von der einstmals so ballettengagierten Stuttgarter Zeitung ganz zu schweigen –, fand ich doch angesichts der überragenden ballettgeschichtlichen Stellung von Nurejew ziemlich beschämend. Und bezeichnend für das Informationsdefizit der deutschen Zeitungen in Sachen Ballett. Wenigstens die Leser der Welt wurden darauf hingewiesen. Keine einzige Zeitungs-Vorankündigung indessen auf den via arte gesendeten neuen Fernsehfilm „From Russia with Love“ (besonders bedauerlich, weil daran ja auch ein paar Deutsche beteiligt waren). Wie gut, dass es das www.tanznetz.de gibt!

Umso erfreulicher das zeitgerechte Erscheinen des luxuriösen Bandes „Nurejew – Bilder eines Lebens“, herausgegeben von Pierre-Henri Verlhac im Henschel Verlag, Berlin (184 Seiten, 150 farbige und s/w-Abbildungen, € 34,-) – mit einem Vorwort von Vladimir Malakhov, „gefeiert als der ‚zweite Nurejew‘“ – na ja!) und einem biografischen Essay von Ana Veblen (ohne nähere Angaben, wer die Dame ist). Die Bildauswahl und -präsentation ist wahrlich opulent ausgefallen – und es scheint zu stimmen, was der Waschzettel behauptet, dass es sich um „größtenteils erstmalig veröffentlichte Fotos“ handelt. Der Text ist angenehm nüchtern gehalten, und die Dame erwähnt immerhin, dass das Geburtsdatum umstritten ist.

Unter dem Titel „Der dunkle Prinz“ ist er in die Kapitel „Kindheit und Jugend in Ufa“, „Lehrjahre in Leningrad“ (da hätte ich mir für die deutsche Ausgabe dieses ursprünglich französischen Buches doch einen Hinweis auf die deutschen Kollegen gewünscht), „Sprung in die Freiheit“, „Die Eroberung des Erik Bruhn“, „Nurejew and Friends“, „Der Tänzer als Choreograf“, „Auf dem Gipfel des Ruhms“ und „Tod und Verklärung“ unterteilt. Den Schluss bildet dann die Jahresfolge seiner Biografie, seine wichtigsten Rollen, die Choreografien und die Filme (da fehlt das frühe TV-Shooting, von „Spectre de la rose“ und Ausschnitten aus „Giselle“ mit Gisela Deege und Irène Skorik unter Orlikowsky in Frankfurt). Doch so froh wir auch sind, diesen glänzend aufgemachten Fotoband über Nurejew zu haben: er ersetzt natürlich nicht die englisch-amerikanische Biografie „Nureyev – The Life“ von Julie Kavanagh, auf deren Übersetzung wir gespannt warten (wo dann auch die von John Percival in der Winter 2007-Ausgabe der amerikanischen DanceView Review monierten Einwendungen berücksichtigt werden sollten).

Nicht zu vergessen schließlich die Ballettgala, die die Wiener Staatsoper zu Nurejews Jubiläumsgeburtstag veranstaltete (siehe die tanznetz-Kritiken vom 23. März). Dafür hatte sich Ballettchef Gyula Harangozó einen ganz besonderen Coup ausgedacht: die verschiedenen Akte der Nurejewschen „Schwanensee“-Produktion mit vier verschiedenen Prinzen und drei verschiedenen Schwanenprinzessinnen zu besetzen. Zur einhelligen Begeisterung des Publikums, das ja inzwischen in Wien derartige zirzensische Spektakel für große Ballettkunst hält. Wie wär's denn, wenn sich Harangozó für seine eigene Abschiedsvorstellung eine Gala mit internationalem Staraufgebot einfallen ließe, bei der die Jury dann die einzelnen Beiträge nach Punkten bewertet? Dann wüssten wir doch endlich, wer denn nun wirklich die beste Tänzerin und der beste Tänzer der Welt sind!

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