Leichtes Spiel mit der Schwerkraft

„Intérieur Nuit“ - Tanz und Videoprojektionen von Jean-Baptiste André

Heilbronn, 03/05/2008

„Ich glaube an die künftige Auflösung dieser scheinbar so gegensätzlichen Zustände von Traum und Wirklichkeit in einer Art absoluter Realität, wenn man so sagen kann: Surrealität.“ schreibt André Breton im Manifest des Surrealismus 1924. Von der Malerei und dem automatischen Schreiben über den Experimentalfilm bis zur aktuellen Konzeptkunst haben sich Künstler aus unterschiedlichsten Feldern auf die Surrealisten berufen. Auch Jean-Baptiste André bewegt sich in seiner Performance „Intérieur Nuit­“ in der Tradition dieser aufrührerischen Kunstbewegung.

Ausgebildet an einer Zirkusschule und beeinflusst vom Nouveau Cirque, verschreibt sich André der ästhetischen Grenzüberschreitung und führt Artistik und Schauspiel, Akrobatik, Pantomime und Tanz mit digitaler Bildtechnologie und elektronischer Musik zusammen. Das Resultat im „Innenraum der Nacht“ ist ein faszinierendes Solo, das mit traumwandlerischer Leichtigkeit die Schwerkraft überwindet und mehr noch, die Wahrnehmungsgewohnheiten der Zuschauer verunsichert. Irritiert pendelt der Blick zwischen Projektion und Realität. Meint man er sitzt, liegt er tatsächlich am Boden. Sieht das Videobild aus, als stütze er sich mit einem Arm an eine senkrechte Wand und hätte die Füße ganz normal am Boden, steht er de facto im Einarmstand, der Körper waagrecht und die Füße an der Senkrechten. Macht er eine Rolle rückwärts, dann scheint er, glaubt man dem Abbild, zu schweben. What a difference a camera makes!

Um nur 90 Grad gedreht und im Maßstab 1:1 an die Wand geworfen entstehen - im wahrsten Sinn - verrückte Situationen. Partout nicht mitspielen will der Hemdzipfel, soviel er ihn auch zurechtzupft, er steht ab. Neben dem Duett mit der Video-Projektion erkundet André mit ausgebreiteten Armen und Schritten, im Handstand und Rad schlagend den nach drei Seiten offenen Raum. Er rennt die Wände hoch, bleibt kopfüber in einer Luke stecken, rutscht in die Ecke, wo er festklemmt, während der Sound – Vogelgezwitscher und Lärm vorbeirauschender Autos - stereophone Weite suggeriert.

Material- und Objekttheater mit Gegensätzen und Tücken spielend, findet der Performer in allem einen Partner, ob grell blinkendes Neonlicht da oder ein schwingendes Funzellämpchen dort. Ordentlich gefaltete, gestapelte Kleidungsstücke, übereinander gestreift münden in chaotischen Verwickelungen, die sich klären und schließlich in einer Liebeserklärung an einen Abwesenden endet - zärtlich getanzt mit der am Boden liegenden Hülle, eine Jacke und eine Hose. André ist ein einsamer Erzähler absurder Geschichten. Wie den frühen Stummfilmkomikern gehen ihm die Ideen nicht aus, vielmehr entwickelt sich eine aus der anderen zu bizarren Kettenreaktionen in einer Welt fein ausbalancierte Gegensätze. Sanfte Anstöße an die Imaginationskraft der Zuschauer. Die sind im Heilbronner Theater hingerissen vom Ausflug ins nächtliche Interieur des Franzosen.

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