Furchtsames Kollektiv

Der israelische Choreograf Emanuel Gat mit Mozarts Requiem

Ludwigsburg, 19/01/2008

Ihm eilt ein Ruf voraus. Obwohl im Grunde nur eine Handvoll seiner Stücke international bekannt sind, ist der „Wüstentänzer“ Emanuel Gat aus Israel derzeit einer der Lieblinge der modernen Tanzszene. Anders als die meisten seiner zeitgenössischen Kollegen nimmt er sich gerne bekannte Musik vor, die großen Brocken der Musikgeschichte wie etwa Strawinskys „Sacre du Printemps“, zu dem er Salsa tanzen ließ. Oder nun Mozarts „Requiem“, das bei ihm nach der Nummer im Köchelverzeichnis „K626“ heißt.

Vor diesem langen Ensemblestück aber tanzt der Choreograf beim Gastspiel seiner Kompanie im Ludwigsburger Forum zuerst selbst ein Solo, das zu John Coltranes Jazzmusik in der Tat ungewöhnlich aussieht. Gat ist von schmaler, eleganter Statur, fast wie ein Läufer. Sein Bewegungsstil vereint die Geschmeidigkeit des afrikanischen Kontinents (er ist marokkanischer Abstammung) mit der Nachdrücklichkeit, dem dringlichen Sich-Behaupten der israelischen Choreografen, die immer irgendwie gegen die Ignoranz antanzen, die ihrem Metier zuhause zuteil wird; auch Gat hat den Kampf vor kurzem aufgegeben und ist mit seiner Kompanie nach Südfrankreich ausgewandert.

Wie ein Raupe schlängelt sich der Choreograf auf einer Lichtbahn an der Rampe entlang; sein Tanz wirkt nie gekünstelt oder intellektuell, eher wie ein Destillat aus alltäglichen Bewegungen. Bei Ausflügen auf die weite, stockdunkle Bühne dahinter scheint er neue Kraft zu tanken, bevor sich sein Körper wieder schlangengleich windet und in der federnden, rhythmischen Spannung des Hip-Hop mit Hüften und Schultern zuckt - flüssig, musikalisch und mit einem Einschlag von clowneskem Slapstick.

Auch „K626“ ist in diesem schlangenhaften, kantenlosen Stil mit Schulterrollen und Hüftschwüngen choreografiert. Getanzt wird barfuß in dunklen, langen Tuniken über schwarzen Hosen, nackt sind nur die Arme, die sich unablässig strecken, schlingen und winden. Wie ein Verband ängstlicher Klone in einer feindlichen Umgebung bleibt das Kollektiv der sieben Tänzer immer dicht zusammen und bewegt sich meist parallel. Gat arbeitet in kollektiven Strukturen: Die Tänzer liegen parallel ausgerichtet auf dem Boden, sie gehen in einer Prozession hintereinander und schauen wie ein Feld furchtsamer Sonnenblumen immer in eine Richtung, egal, was sie tun. Wenn jemand ausbricht, dann meistens zu zweit, zwei weitere folgen ihnen, aber bald ist die Gruppe wieder vereint. Der Choreograf behandelt dabei Männer und Frauen völlig gleich - kein Wunder, das Stück war einmal für zehn Frauen gemacht, jetzt tanzen drei Männer und vier Frauen. Erst als Mozarts erhabene Musik innehält, bricht momentan Vereinzelung und Verwirrung aus, die sich mit dem letzten Satz des Requiems wieder auflöst. Die minimalen religiösen Andeutungen - eine Art umgekehrte Pietà zum Beispiel, die ins Rutschen kommt - prägen das Stück nur wenig, viel eher ist es die düstere, erhabene Eleganz, mit der das Kollektiv über die Bühne gleitet.

Zweifellos hat Emanuel Gats Tanzstil einen Pulsschlag, eine innere Spannung - allerdings ist Mozarts „Requiem“ knapp eine Stunde lang und manchmal besteht durchaus die Gefahr, dass so viel konzentrierte Gleichförmigkeit nicht nur hypnotisch wirkt, sondern auch einlullend.

Link: www.forum.ludwigsburg.de / www.emanuelgatdance.com

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