Essen tanzt essentiell

Abschiedsgala für Ballettdirekor Martin Puttke

oe
Essen, 27/06/2008

Freitag, ausgerechnet Freitag – und wenn schon nicht der gefürchtete 13., so war doch die Zahl, die an diesem Abend im Essener Aalto-Theater am häufigsten genannt wurde, die Dreizehn. Konnte das gut gehen? Nicht nur das, sondern es war die gelungenste Gala, die es je in Deutschland zum Abschied eines Ballettchefs gegeben hat. Und der Ballettdirektor, der nach dreizehnjähriger lokaler Aktivität gefeiert wurde, hieß und heißt Martin Puttke. Und die Stadt, die diese Gala M. P. und sich zu Ehren ausrichtete, ist die Ruhr-Metropole, die für sich in Anspruch nimmt – und mancherlei Gründe dafür bereit hält – DIE Ballettstadt (zumindest von Nordrhein-Westfalen) zu sein. Weswegen es gut gewesen wäre, wenigstens in einem Nebensatz daran zu erinnern, dass Essen auch schon vor M. P. eine Tanzstadt war, in der außer Folkwang und Kurt Jooss Persönlichkeiten wie Robert Mayer, Marcel Luipart, Boris Pilato und Heidrun Schwaarz das Tanzsagen hatten.

Was Gerhard Schröder und M. P. miteinander verbindet? Das mag im Augenblick noch fraglich scheinen, doch dass Gerhard Schröder als Deutscher Vorsitzender des russischen Gazprom ist, und dass M. P. designierter Künstlerischer Direktor der in Planung befindlichen neuen Hochschule für Ballett in St. Petersburg ist, dass – wie es Norbert Lammert als Präsident des Deutschen Bundestags und Berlins Ballettpolitiker Nummer eins nannte – ein Mann sozusagen als deutscher Tanzkonsul die Russen das Tanzen lehren soll, der Mann aus Essen in der Hochburg des klassischen Balletts, lässt M. P. als Visionär eines neuen russischen Balprom erscheinen. Kein Städtenamen wurde in den diversen Reden des Abends außer Essen so häufig genannt wie St. Petersburg, und so konnte man den Eindruck gewinnen, dass die Newa-Metropole eine Vorstadt von Essen ist – und in Analogie zu Vladimir Putin, den Schröder einen „lupenreinen Demokraten“ nennt, M. P. einen lupenreinen Ballettklassizisten.

Und so rollte das Programm dieses Abends mit Solisten und Corps de ballet des aalto ballett theater essen mit Gästen, der Essener Philharmonie unter dem Dirigenten Florian Ziemen, choreografiert von Raimondo Rebeck und moderiert von Ina Wragge wie ein Ballett des großen Petipa ab, beginnend mit einem Defilée aus „Dornröschen“ und endend mit der Apotheose dieses St. Petersburger Ballettklassikers par excellence, in der alle Mitwirkenden, einer und eine nach dem/der anderen, dem Galatier eine Rose überreichten, während es aus dem Schnürboden Silber regnete. Dazwischen wurde getanzt, vier Stunden lang, Pause inklusive, was das unter M. P. erarbeitete Repertoire hergab – klassisch und modern, Petipa und Iwanow à la Stefan Lux, sogar ein wunderbarer Wiener Walzer der Marke Grete Wiesenthal, Wainonen, Sacharow und Eifman, Spuck und Thoss, Xin Peng Wang, Schröder nebst Maillot und Savkovic, sowie einem Gastbeitrag aus der Dansakademie Arnheim – essen-klassich (sozusagen essentiell) und essen-modern (wie das nennen? folkwangisch?), dass die Augen übergingen: Essen-Tanz – dem M. P. das Qualitätssiegel verliehen hat wie Böttger seinerzeit dem Meissner Porzellan.

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