Zu Rudiks 70. Geburtstag

Der Film „Nureyev – From Russia with Love“

Berlin, 17/03/2008

Rudolf Nurejew hat nichts zu sagen. Mit der ersten Pressekonferenz nach seiner spektakulären Flucht auf dem Flughafen Le Bourget bei Paris am 16. Juni 1961 setzt der Film „Nureyev – From Russia with Love“ sprachlos ein. Aber sein Kokettieren mit der Kamera lässt noch vor dem eigentlichen Beginn erkennen, dass er mehr ist als nur ein tanzender Narziss, der einmal von sich selber in der ihm eigenen Bescheidenheit behaupten wird: „Niemand kann mir das Wasser reichen.“

Er hat Recht. Kein Tänzer, kein Choreograf, kein Ballettdirektor in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts hat sich dem Bewusstsein der Weltöffentlichkeit so eingeprägt wie Rudolf Nurejew, der heute vor siebzig Jahren auf einer Fahrt in der Transsibirischen Eisenbahn geboren worden ist. Und keiner hat dafür einen so hohen Preis zahlen müssen wie er: nämlich den Verlust der Familie, von Freunden, Kollegen und des geliebten Kirow-Balletts. In Zusammenarbeit mit der Nureyev Foundation und gestützt auf die Recherchen von Julie Kavanagh, hat der Film eine Fülle aussagekräftiger Materialien und Interviews zusammengetragen. Darunter bislang unveröffentlichte Filmdokumente von Teja-Knut Kremke aus der Frühzeit eines Superstars, der im baschkirischen Ufa nach einer Aufführung des Folklore-Balletts „Das Lied der Kraniche“ seine Liebe zum Tanz entdeckt. Die Ballerina der damaligen Aufführung erinnert sich, und auch die Freundin, die ihm immer zu Willen war und ihn in Leningrad so fotografiert, wie es sich der junge, nicht eben uneitle Zögling Alexander Puschkins so sehnlich wünscht: voller Sensibilität und Sinnlichkeit, Weichheit und Wildheit.

Denn längst hat Rudik, wie ihn seine Freunde nennen, das ihm eigene Kapital entdeckt, seinen schlanken Körper und die Kunst, auf ihm wie auf einer Stradivari zu spielen. Ninel Kurgapkina, Menia Martinez, Uta Mitreuter-Russu und Sergiu Stefanski sind die gemeinsamen Lehrjahre in Leningrad überaus lebendig im Gedächtnis geblieben, und wenn ihr Wort versagt, helfen wieder aufgefundene Filme der Dokumentation auf die Sprünge. In aller Heimlichkeit hat Teja-Knut Kremke, ein junger Ballettstudent aus dem damaligen Ost-Berlin, ihn aus der Kulisse oder über die Schulter des Dirigenten hinweg bei seinen Proben und Aufführungen mit seiner Kamera „begleitet“: ein Stoff, aus dem nicht einfach Träume sind, sondern ein handfestes Material, das seinerzeit von den beiden selbstkritisch ausgewertet worden ist. Schließlich hat Nurejew eine Vision – und Kremke, für Rudik offenbar mehr als bloß ein „Blutsbruder“, weist ihm den Weg ihrer Verwirklichung. Kremke jedenfalls scheint es gewesen zu sein, der ihm immer wieder die Konsequenzen vor Augen führt und ihn schließlich zur folgenreichen Flucht drängt. Dass sie im Mittelpunkt von Film und Buch steht, ist nicht weiter verwunderlich.

„Six Steps Exactly“ hat Julie Kavanagh das entsprechende Kapitel drehbuchhaft überschrieben, und Bridcut lässt sich die Szene noch einmal von Pierre Lacotte nachvollziehen: ein Ereignis, das einem im Nachhinein noch einmal den Atem stocken lässt und einem zugleich Schauder über den Rücken jagt. Denn Nurejew „stirbt“ nicht nur für Russland. Auch seine Familienangehörigen und Freunde werden abgestraft für eine Aktion, ohne die das Ballett nicht den Höhenflug erlebt hätte, den ein Rudolf Nurejew im Westen erst ermöglichte. „Gut gemacht“, signalisiert Teja-Knut Kremke noch seinem geliebten Freund. Doch der Mauerbau vereitelt die gemeinsamen Pläne. Unter nie ganz geklärten Umständen fällt er Jahre später in der DDR vom Balkon. Möglicherweise hat da jemand nachgeholfen...

Wie auch immer: den Film, der heute Abend um 22.35 Uhr auf arte gezeigt wird, sollte man sich nicht entgehen lassen. Auf das Buch, das im Verlag Penguin/Fig Tree erschien, kommen wir noch einmal zurück.

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