Tänzerische Vollwertkost à la Suisse

Balanchine, Bigonzetti und Spoerli im neuen Zürcher Ballettprogramm

oe
Zürich, 12/05/2007

Ein Gourmet-Menü aus drei veritablen Kalorienbomben – dazu als Bonus noch ein Zwischengericht, ganz gewiss auch nicht ohne! Das heißt, dass das ganze Zürcher Ballett beschäftigt ist, ein Großteil seiner Tänzer sogar in zwei Stücken. Anders also als beim vielgerühmten Robbins-Abend in Berlin, wo vier Fünftel von Deutschlands größter Ballettkompanie an jenem Abend spazieren gehen (ein Musterbeispiel desaströser Ensemble-Politik).

Zu Beginn Balanchines „Concerto Barocco“ und als Zwischengang sein „Apollo“. Hoch konzentrierte Choreografie also – sozusagen in Bio-Qualität. Das macht Sinn, weil beide auf dem Prinzip der Symmetrie beruhen – im frühen „Apollo“ auch bereits der berühmte Balanchine-Knoten. Beide einstudiert von Patricia Neary – noch von Balanchine selbst delegierte Zürich-Statthalterin. Qualität ist hier schon Tradition – schließlich wirkte Neary hier bereits von 1978 bis 1985 als Ballettchefin. Entsprechend die Solidität der Ausführung, versehen mit dem NYCB-Gütesiegel. Mit Stanislav Jermakov als geradezu heroischer Musengott, der umgekehrt zur sonstigen Praxis die drei noch sehr jungen Kunstnovizinnen lehrt, was ihr künftiger Auftrag ist.

Als zweites Hauptgericht sodann „Kazimir‘s Colours“, Mauro Bigonzettis 1986 für Stuttgart kreiertes Durchbruchsstück (noch Erinnerungen an Margaret Illmann und Robert Tewsley?) – übrigens zum gleichen Schostakowitsch Konzert für Klavier, Trompete und Orchester, das Crankos erster Stuttgarter Hit, noch vor „Romeo und Julia“ war. Schade, dass Bigonzetti nicht weiter daran gearbeitet und die ausufernden musiklosen Passagen gekappt hat, denn wo er sich auf die Musik einlässt, ihren frechen Frühdreißiger-Jahre-Charme, blitzt und funkelt seine farbensprühende Choreografie wie aus einer Spaßkanone geschossen: die Tänzer, allen voran Yen Han und Arman Grigoryan sowie Iker Murillo und Yudai Fukuoka wie in den Raum explodierende Feuerwerkskörper, mit Grigoryan (aus der Tänzerschmiede von Jerewan – wie mehrere dieser Springteufel, außer Zürich auch Hamburg und München!) quasi als armenischer Pinocchio.

Und dann also „Prime Time“ von Spoerli, die Überraschungs-Kreation dieses opulenten Menüs. Choreografiert zum zweiten Klavierkonzert von dem Schotten James MacMillan (Jahrgang 1959), hierzulande noch weitgehend unbekannt, in England und Amerika bereits ein Jungstar, um den sich die prominentesten Dirigenten reißen. Deren Job besorgt in Zürich – wie an diesem ganzen Abend - Zsolt Hamar, ein ungarischer Newcomer aus dem Adelsgeschlecht der Bartók und Kodály. Vielleicht wirkte dieser MacMillan ja auch deshalb wie ein schottischer Nachlassverwalter des ungarischen musikalischen Stammkapitals (eine Heuschrecke?). Jedenfalls mutet sein zweites Konzert wie eine schottische moderne Fortsetzung des Giuoco delle coppie, dem Schlusssatz aus Bartóks Orchesterkonzert an – mit einer Prise Hary Janosschen Schabernacks (die Zitate aus „Lucia di Lammermoor“ und das Wiener Walzer-Chaosfinale als schottische Hommage an Ravels „La Valse“).

Von Alexey Botinov, Zürichs ukrainischem Hauspianist (wie auch schon bei Schostakowitsch), aus den Tasten und auf dem Schlagzeug gedonnert, klang das so bravourös wie ein Überraschungsfund aus dem schottischen Nachlass von Rachmaninow. Sollte mich wundern, wenn dieser MacMillan nicht auch andere Choreografen hierzulande anzöge! Und die Choreografie (samt Ausstattung) von Spoerli? Da wir hier ja nun mit einem Programm, zusammengestellt wie ein Gourmet-Diner, zu tun haben, kann man wohl sagen, dass Spoerlis „Prime Time“ aus bestem Schweizer Prime Mountain Beef zubereitet worden ist, aus Öko-Aufzucht versteht sich! Eine Meisterkreation Spoerlischer choreografischer Kochkunst – musikalisch und vor allem rhythmisch bis in die Finger- und Fußspitzen, mariniert in schottischem Whisky und irischem Whiskey – ein auch in der Lichtgestaltung von Martin Gebhardt stimmungssattes Kaleidoskop unterschiedlicher, ja gegensätzlicher Befindlichkeiten. Ebenso weit entfernt vom Wald von Birnam wie vom Ungeheuer von Loch Ness – und auch von Balanchines „Scotch Symphony“.

Hier jagt ein Einfall den anderen. Bis kurz vor dem Überraschungsschluss, der missglückt scheint, arbeitet Spoerli mit diversen Leitmotiven (die beiden sich herausfordernden Jungen Vitali Safronkine und Iker Murillo, die dann, ergänzt durch Galina Mihaylova und Diana Miqueo, den Männern sozusagen die Hörner aufsetzen, die Gänsemarsch-Formationen mit den synkopierten Schritten, der traumverlorene Pas de deux für Julie Gardette und Vahe Martiroyan (auch er ein Armenier) mit seiner tiefen Highland-Melancholie. Und das alles getanzt mit einer kommunikativen Lust und spitzbübischen Drolerie, dass man aus dem Schmunzeln gar nicht mehr herauskommt. So dass sich „Prime Time“ wie Spoerlis Satyrspiel zu Balanchines „Scotch Symphony“ ausnimmt!

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