„Hat die Liebe zum Tanz wiedergefunden“

Robert Tewsley im Gespräch

Wien, 06/04/2007

Ein (zu) seltener Gast in Wien: Der international akklamierte englische Tänzer Robert Tewsley tanzt in der Neueinstudierung des Kenneth-MacMillan-Balletts „Manon“ an der Wiener Staatsoper am 15. April den Des Grieux. Andrea Amort sprach mit dem ehemaligen Solisten des Stuttgarter Balletts, des Royal Ballet und des New York City Ballet.


Andrea Amort: Robert Tewsley als Gärtner? Einer der interessantesten, weil stilistisch und darstellerisch unverwechselbaren Tänzer, steckt seine Finger in die Erde? 

Robert Tewsley: Das hat vor ein paar Jahren angefangen. Als ich das New York City Ballet verließ und ich mir nicht klar war, ob ich weiter tanzen würde oder nicht, habe ich mit einer Freundin das Geschäft London Gardens begonnen. In London kaufte ich eine Wohnung, als ich Stuttgart (das Stuttgarter Ballett, Anm.) verließ, die hatte einen vorderen und einen hinteren Garten, wo seit 45, 50 Jahren nichts gemacht worden war. Als ich mit meinen Arbeiten fertig war, sind viele Menschen vorbei gegangen und meinten, das sei sehr professionell und sehr schön. Da kam ich auf die Idee, ein Gartengeschäft aufzumachen. Auch in New York wurde ich wieder gebeten, einen Garten zu erneuern. Die Aufträge wurden mehr und mehr. Aber dann begann ich auch wieder mehr und mehr zu tanzen. So die letzten eineinhalb Jahre habe ich wenig gemacht. Wenn ich nach drei Monaten Japan wieder einmal nach London gehen kann, gibt es nichts Besseres als mit den Händen in der Erde zu wühlen. Zwei Tage bevor ich nach Wien kam, habe ich in meinem Garten noch einiges getan. Jetzt beginnt alles zu blühen, alles fängt von vorne an…
(Später erzählt Tewsley, dass er ein Universitätsstudium (Deutsch) begonnen hat.) 

Sie haben erst kürzlich den „Cyrano“ in dem gleichnamigen neuen Ballett von David Bintley für das Birmingham Royal Ballet getanzt. In einer Kritik heißt es sinngemäß, Tewsley weiß in jeder Sekunde nicht nur technisch, sondern auch ausdrucksmäßig was er tut und was er empfindet. Woher kommt das? 

Das weiß ich nicht. (Lacht). „Cyrano“ war natürlich aufregend. Aber ich glaube, dass es bei Handlungsballetten einfach sehr wichtig ist, zu wissen, warum man auf der Bühne steht, was man denkt. Das muss vorher nicht geplant sein.

Das heißt aber nicht, dass Sie improvisieren? 

Jede Vorstellung ist ganz anders. Zum Beispiel als ich mit Sue Jin Kang in Stuttgart getanzt habe, wir kannten uns sehr gut, haben wir nicht so viel geprobt. Für „Romeo und Julia“ haben wir vielleicht eine Stunde gemacht. Es muss nicht alles spontan sein auf der Bühne, aber man muss ein Vertrauen haben. Aber „Cyrano“ war etwas ganz Neues, ich habe natürlich das Buch gelesen, ich habe verschiedene Aufführungen am Theater gesehen, vor allem mit Derek Jacobi von der Royal Shakespeare Company. Da dachte ich: Wie er diese Rolle spricht, so möchte ich tanzen. Das war schwierig, zu dieser Rolle einen Weg zu finden. Aber ich würde sagen, man muss immer eine Geschichte im Kopf haben. Es darf einem nie passieren, dass die Frage auftaucht: „Was mache ich?“ Aber das kommt natürlich auch mit Erfahrung. Wenn man viele Handlungsballette getanzt hat, weiß man, wie man auf der Bühne ist. Ich bin jetzt seit 17 Jahren auf der Bühne und da weiß man wie man auf der Bühne ist. Ich habe als Erster Solist viele (darstellerische, Anm.) Möglichkeiten auf der Bühne zu stehen. Man denkt immer an die technischen Anforderungen, die man hat, aber die Hauptsache ist zu wissen, wer man ist. Man kann alles wunderbar tanzen, aber wenn Du keine Idee hast, wer Du bist, gibt es eigentlich keine Vorstellung. Handlungsballette brauchen Schauspieler.

Vielleicht ist das auch ein Grund, warum die Handlungsballette wieder stark in Mode sind. Sie vermitteln Gefühle und es geht nicht prinzipiell um choreografisches Schauen. Und sie verkaufen sich besser als einaktige Werke. 

Das kommt aber auch darauf an, wo man ist. Ich war zwei Jahre beim New York City Ballet, dort musste ich ganz anders arbeiten. Aber ich konnte das nicht. Ich habe auch meine eigene Geschichte. Dort waren natürlich die Werke von George Balanchine angesagt. Drei verschiedene an einem Abend. Aber es ist auch eine Frage des Geldes. Es gibt wenig Häuser, die erlauben, ein neues abendfüllendes Handlungsballett zu machen. Das Stuttgarter Ballett leistet sich das noch, zum Beispiel mit dem Choreografen Christian Spuck. Es ist leichter, 30 Minuten zu bestellen als einen ganzen Abend. Dann hat es mit dem Publikum zu tun, das immer noch die Handlungsballette sehen will. In Deutschland ist der Theaterbesuch immer noch ein Teil des Lebens, in England schon weniger, in den USA überhaupt nicht. Da schaut man dann auf den Spielplan: ja, wir schauen uns „Schwanensee“ an, da kennen wir die Musik. Als ich in Deutschland gelebt habe, ist mir aufgefallen, dass die Menschen dort ins Theater gehen, um eine Herausforderung zu erleben. Sie möchten gerne „getestet“ werden.

Sind die Werke von MacMillan - seine „Manon“ hatte 1974 Premiere - heute noch tanzbar? Oder anders gefragt, geht es um eine jeweils heutige Interpretation? 

Ja sicher. „Manon“ war ja damals gar kein Erfolg. Aber das hat sich schnell geändert.

Gibt es einen speziellen MacMillan-Stil? 

Das gibt es sicher. Man kann das erkennen. Es ist zwar schwer zu beschreiben, aber es hat unter anderem mit den Hebefiguren zu tun. „Manon“ war das erste MacMillan-Ballett, das ich getanzt habe, dann kam sein „Romeo“, „Mayerling“, „Lied von der Erde“. Aber da war schon klar, das ist ein MacMillan-Schritt, das ist nicht von Cranko.

Der Körper ist ja auch ein Archiv.

 Ja, natürlich. „Manon“ habe ich vor zwei Jahren zum letzten Mal getanzt. Aber jetzt bei den Proben kommt alles sofort zurück. Man muss proben, arbeiten, aber ich muss nicht von vorne anfangen. „Manon“ hatte ich auch sehr oft gesehen, schon als ich in der Schule war. Ich hatte schon ein Gefühl dafür als ich den Des Grieux zum ersten Mal beim National Ballet of Canada tanzte. Ich bin auch englisch trainiert, das war mir vertraut.

Man spricht ja auch vom so genannten englischen Tänzer. 

Ja, die Leute sagen das. Trotz allem, was ich gemacht habe. Du bist ein englischer Tänzer. Das hat vielleicht mit der Musikalität zu tun.

MacMillan gehört mit Cranko, der zwar aus Südafrika kam, und Ashton zur englischen Schule, auch David Bintley. Sie haben mit sehr viel verschiedenen Choreografen auf verschiedenen Kontinenten gearbeitet. Welchen Stellenwert hat da die englische Schule heute? 

Nehmen wir Bintley. Als ich in der Royal Ballet School war, ich war 16, hat Bintley für mich ein Stück gemacht. Als ich in Stuttgart war, hatte ich nicht die Möglichkeit seinen „Edward II.“ zu tanzen, sodass sein „Cyrano“ die erste Gelegenheit war, wieder mit ihm zu arbeiten. Bintley würde ich sagen, das ist wirklich englischer Stil. Wie er denkt, wie er arbeitet, das ist ganz nah an Ashton und MacMillan. Er ist inspiriert von den beiden. Aber die Welt hat sich geändert, sie ist offen. Es ist nicht wie früher. „Manon“ wird inzwischen überall getanzt. Das hat vor ungefähr zehn Jahren begonnen mit Stockholm, später kam dann Paris usw. Mit Cranko ist es dasselbe, seine Stücke werden auf der ganzen Welt getanzt.

Nachdem Sie in einigen bedeutenden Ensembles fest engagiert waren, sind Sie seit einigen Jahren freischaffend. Wie geht es Ihnen damit? 

Mit 20 kam man das natürlich nicht machen. Aber nach diesen zwei Jahren in New York, dachte ich, wenn ich weiter tanzen will, dann nur das, was ich wirklich machen will. Ich habe alles Mögliche ausprobiert. Nach vier Wochen aber klingelte das Telefon, jemand aus Tokio hat mir ein Engagement angeboten. Nach New York war ich müde, hatte dort meine Zeit nicht richtig genossen. Ich dachte, gut, ich höre auf. Ich hatte eine tolle Zeit gehabt. Aber dann, kamen so viele Angebote, dass ich das Tanzen wirklich wieder genießen, mehr als das, lieben konnte. Seither habe ich eigentlich nur gearbeitet, seit Januar 2006 bin ich unterwegs. Die meisten Stücke, die ich getanzt habe, waren neu. Zum Beispiel habe ich „Cendrillon“ von Rudolf Nurejew gemacht an der Scala, „Die Fledermaus“ von Roland Petit in Tokio. Ich hatte die Chance mit Wayne McGregor in „Dido und Aeneas“ zu arbeiten an der Mailänder Scala, jetzt „Cyrano“ und ein Balanchine-Stück, das ich nie getanzt hatte: „Symphony in three movements“. Dieses Jahr mache ich noch endlich „Edward II“ in Birmingham, ein brutales, aber tolles Ballett. Alessandra Ferri hat mich eingeladen, mit ihr zu tanzen. Also ich kann nicht aufhören, mein Leben ist so reich geworden. Ich tanze jetzt, weil ich tanzen will. Nicht um eine gute Kritik zu kriegen. Ich weiß selber, wann ich gut oder schlecht bin. Ich tanze sehr klassische Ballette aber auch sehr, sehr zeitgenössische, ich habe jetzt ein breites Spektrum. Das ist wunderbar. Ich habe die Liebe zum Tanz wieder gefunden. Vielleicht tanze ich noch sieben, acht Jahre, wenn mein Körper mitmacht…

Wie wichtig sind choreografische Kreationen für Sie? 

Glen Tetley war zum Beispiel wichtig für mich, er hat für mich und Margaret Illmann ein Stück gemacht in Stuttgart. Er war in meiner Karriere immer da und ein wichtiger Impulsgeber. Aber nehmen wir Wayne McGregor aus der jüngsten Zeit. Er hat ein völlig anderes Vokabular als ich es bisher kannte. Wir haben zwei Wochen nur Workshops gemacht, die Tänzer arbeiteten viel alleine. Am Ende hat er die Ergebnisse zusammengesetzt. Das waren zwei Monate intensives Arbeiten, ein unglaubliches Erlebnis. Als ich nach London zurückging, sagte jemand: Was hast Du gemacht? Du siehst nicht mehr aus wie ein klassischer Tänzer. Du stehst anders da. Ich denke, man muss alles machen. Klassische Rollen aber auch Werke von Kylián, Forsythe. Man kann diese Erfahrungen alle auch für die klassischen Auftritte nutzen. Man lernt, den Körper anders zu nutzen. Man lernt, die Emotionen ganzkörperlich auszudrücken. Aber in dieser Hinsicht habe ich auch Reid Anderson viel zu verdanken. Er hat mich mit 18 aus der Schule geholt und ich habe bei ihm, damals war er Direktor des National Ballet of Canada, ein neues künstlerisches Spektrum kennen gelernt, das ich in London so nicht kannte.

Sie haben viel Erfahrung, sie kennen die Ballett-Welt. Würde es Sie reizen, ein Ensemble zu leiten?

Ich habe schon daran gedacht. Aber es ist eine große Herausforderung. Vor allem muss man nach vorne schauen können, also, wohin wird der Tanz gehen, wie wird er sich entwickeln. Man muss sich Fragen stellen, vielleicht nicht immer gleich die Antwort haben. Man muss Ideen haben, das scheint mir das Wichtigste. Was machen wir jetzt, dass das Ballett Bestand hat und bleibt in einer Zeit, in der es nur noch um die Einnahmen, um das Geld geht. Das scheint mir schwierig. Als ob ich das wirklich machen will, weiß ich noch nicht. Man hat eine sehr große Verantwortung. Man weiß, dass man nie alle Tänzer glücklich machen kann. Man muss wissen, welche Richtung man einschlägt, um seine Kompanie unverwechselbar zu machen. Das ist heute sehr schwer. Sehr viele Ensembles sind einander sehr ähnlich. Man muss auch den Mut haben zu sagen, das will ich nicht auf der Bühne sehen. Ich habe wohl überlegt, was mit Stuttgart einmal sein wird, aber, wie gesagt, ich kann das jetzt nicht beantworten.
Oft funktioniert es aber auch mit den besten Ideen nicht. Ross Stretton konnte sich am Royal Ballet auch nicht durchsetzen. Was passiert dann mit einem selber, stirbt man dann in gewisser Weise… Aber abgesehen davon muss Ballett, auch wenn es elitär ist, immer etwas mit dem Heute zu tun haben.

Viel Glück und vielen Dank für das Gespräch. 


Mit freundlicher Genehmigung des Kurier

 

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