Mit zwei Ausrufezeichen

Innsbruck gastiert mit Birgit Scherzers „Requiem!!“ im Wilhelma-Theater

oe
Stuttgart, 20/12/2007

Von allen musikalischen Meisterwerken gehört Mozarts „Requiem“ sicher zu den am meisten malträtierten. Unzählige Möchtegern- und Auchkomponisten haben sich an die Vervollständigung von Mozarts fragmentarisch hinterlassenem KV 626 gewagt, Dutzende von Choreografen zwischen Béjart und Zanella sich dazu berufen gefühlt, es zu vertanzen. Dauerhaft auf dem Theater haben sich lediglich zwei Versionen behaupten können – beide aus dem Jahr 1991: John Neumeiers Salzburger Produktion mit dem Hamburger Ballett und Birgit Scherzers Saarbrücker Einstudierung. Während Neumeiers Version nur von seiner eigenen Kompanie getanzt wird, hat Scherzer die ihre auch beim BalletMet Columbus in Ohio bereits 1997 mit großem Erfolg herausgebracht und sie im Vorjahr auch als ihre erste Premiere am Landestheater Innsbruck präsentiert. Jetzt gastierte sie mit ihrem Tiroler Tanztheater im Cannstatter Wilhelma-Theater – und zwar gleich mit fünf Vorstellungen: ein gewagtes Unternehmen, das sich aber ausgezahlt hat, denn sie waren durchweg ausverkauft. Zu verdanken war das wohl nicht zuletzt der unverminderten lokalen Popularität von Benito Marcelino in der Hauptrolle des Todes, dessen dominierende Präsenz nachdrücklich daran erinnerte, was für eine Tänzerpersönlichkeit dem Stuttgarter Ballett mit ihm verloren gegangen ist.

Mit dem „Lacrimosa“-Fragment beginnend und endend, gliedert Scherzer ihre einstündige Szenenfolge in drei Teile: „totsein – Tod – töten – tot“, sodann „Er-innerung“ und zum Schluss „Lebensgefährlich“. Dabei fungiert Mozart in gleich dreifacher Gestalt als M1, M2 und M3, stellvertretend für die Menschheit. Man muss sich schon gut auskennen in der Vita Mozarts, um Vater und Mutter zu identifizieren und die diversen Freundinnen und Paare nebst den multiplen Schuhen, dem Koffer und dem als Leitmotiv dienenden Regenschirm, der am Schluss in Flammen explodiert. Beeindruckend sind die von Scherzer imaginierten Bilder allemal – nicht nur die wirbelnden Massenszenen, in denen sich die aus der Dresdner Palucca-Schule hervorgegangene Choreografin zu erkennen gibt, sondern auch die alles vereinnahmende Kraft, mit der sich der Tod gegen jeglichen Widerstand durchsetzt –, sind vor allem Scherzers Luftchoreografien, mit denen sich die Tänzer über alle Erdenschwere hinwegzusetzen versuchen, um letzten Endes von ihr wieder auf den Boden zurückgeholt zu werden. In all dieser Hektik, die von den Innsbruckern mit geradezu innbrünstiger Emphase aufgeladen wird, wirkt Marcelino in seiner ruhigen Majestät wie das eingelöste Versprechen seiner zwei Ausrufezeichen als Verheißung des „Requiescat in pace“.

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