Kurt Weill aus der Perspektive der Dirty Thirties

Antony Tudors „Judgment of Paris“ von der Rambert Dance Company

oe
Dessau, 04/03/2007

Ich muss mich korrigieren: das Motto des diesjährigen Festivals heißt nicht „Weill tanzt“, sondern „Weill getanzt“ (wenigstens nicht: „Weill vertanzt“). Auf jeden Fall scheint der Weill-Bezug wie bei einem Palimpsest auch bei den vielen anderen Stücken und Komponisten durch, die in den 35 Veranstaltungen vertreten sind. Die Begeisterung des Publikums ist offensichtlich: volle Säle und Auditorien allenthalben – ob im Theater oder im Bauhaus, bei Bühnendarbietungen, Konzerten, Vorträgen, Filmvorführungen oder Ausstellungsführungen. So auch jetzt wieder beim Gastspiel der Rambert Dance Company, erwartungsgemäß einem der Programmhöhepunkte – vor allem natürlich wegen Antony Tudors „Judgment of Paris“, eine frühe Rambert-Kreation des damals Dreißigjährigen aus dem Jahr 1938.

Es stand als zweites Stück auf dem Programm – nach Merce Cunninghams hinreißend schönem „Pond Way“ zu Brian Enos „New Ikebukuro“ (was immer das zu bedeuten hat) – eine sanft fließende Studie für 13 Tänzer. Cunningham hat die luftige Choreografie mit einem Stein verglichen, den man über eine Wasseroberfläche springen lässt. Und tatsächlich bewegen sich die Tänzer wie in einem Trockenaquarium. Nach dem Tudor folgten dann noch Martin Joyces „Divine Influence“ für Angela Towler und sich selbst – eine etwas zähe Angelegenheit zum dritten Satz aus Beethovens „Mondscheinsonate“ – und Michael Clarks „Swamp“ zu einer nachgerade enervierend repetitiven Musik von Bruce Gilbert. Alles gut und schön und mit feiner Sensibilität für die individuelle Handschrift der Choreografen getanzt. Vom Kompaniechef Mark Baldwin mit Bedacht für den Bogen ihres Repertoires zwischen den Klassikern der Vergangenheit (Rambert ist mit Recht stolz auf seine enge Verbindung mit dem voramerikanischen Tudor) und den vielen zeitgenössischen Kreationen.

Und doch konnte ich mich wenig damit befreunden. Dies ist ein Weill-Festival, und Tudors „Urteil des Parsis“ zu einem live auf der Bühne von Stephen Lade auf dem Klavier begleiteten „Dreigroschenopern“-Arrangement lohnte die Begegnung durchaus – vorausgesetzt, dass man den nostalgischen Filter der Dreißiger Jahre dazwischenschaltete. Für den Bogenschlag zur Moderne wäre Cunninghams „Pond Way“ durchaus ausreichend gewesen – ein hinreißend schönes Stück von einer sanften Traumverlorenheit. Doch die beiden Arbeiten von Joyce und Clark offerierten nichts als marktgängige Konfektion. Da hätte die Festspieldirektion besser daran getan, auf einer Wiederaufnahme von Christopher Bruces aus dem Jahr 1982 stammendem „Berlin Requiem“ (ebenfalls zu Weill-Musik) zu bestehen. Und als Finale vielleicht auf Bruces „Rooster“ – mit dem Brückenschlag von Weill zu den Rolling Stones.

Doch zurück zum „Judgment of Paris“, das in einem verlotterten englischen Nachtclub der dreißiger Jahre angesiedelt ist (die triste Ausstattung und Kostüme stammen von Tudors langjährigem Lebensgefährten Hugh Laing – damals noch ein bildschöner junger Tänzer). Beteiligt sind ein blasiert-schläfriger Oberkellner (Hubert Essakow) und ein etwas schmieriger, bereits ziemlich angeheiterter Gast (Robin Gladwin) sowie die drei Schönen der Nacht, abgehalfterte Prostituierte, die als Juno, Venus und Minerva (Mikaela Polley, Angela Towler und Gemma Wilkinson) ihre arthritischen Akte vor dem sattgeilen Gast zelebrieren, der am Schluss sturzbetrunken am Boden liegt und von den vier gemeinsam ausgeraubt wird. Das ist ein trauriges Stück, sardonisch bitter, die abgetakelten Damen ächzend unter ihren Altersmalaisen, von Tudor in feinen Strichen skizziert, sehr atmosphärisch dicht an der Musik entlang choreografiert, über die Last mit der Lust. Ein englisches Gegenstück zu den Joossschen Stücken jener Jahre: als ein Ballett noir aus den Dirty Thirties. Absolut passend im Kontext dieses Weill-Festivals.

 

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