Schritte jenseits des Balletts

Dieter Gößler und Bettina Frahm tanzten

Regensburg, 15/07/2007

Im Museum zu tanzen hat schon viele gereizt. Ausgangspunkt des choreographischen Interesses sind dabei aber fast immer die Räume und die Architektur, weniger deren gesellschaftliche Funktion. Den vorgefundenen Ort in seiner zugeschriebenen Bedeutung zu weiten und zu abstrahieren oder zu brechen und zu transformieren, können künstlerische Ziele sein im breiten Spektrum der Möglichkeiten vom Dialog zwischen Körper, Ort und Raum.

Einem gänzlich anderen konnten jetzt Dieter Gößler und Bettina Frahm im Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg nicht widerstehen: der schlichten, sinnlichen Nutzung der Museumsräume als Bühne für den klassisch geprägten und zeitgenössisch gewendeten, schön anzusehenden Tanz.

Der Titel ihrer neuen Tanzkreation „Ansichten – Andere Sichten – Verdichten“ lässt sich daher auch als dramaturgische Handlungsanweisung back to the roots lesen. Angesichts des bemerkenswerten, jahrzehntelangen und außergewöhnlich erfolgreichen Wirkens Gößlers als Ballettdirektor und Chefchoreograph in den 1990ern in Regensburg und der ehemaligen Ersten Solistin Bettina Frahm ist eine solch wiederholte Hinwendung zur eigenen Herkunft mehr als verzeihlich. Und dass es ihnen zudem konzeptionell fast durchgehend gelingt, ohne Schwere aus dem gewohnten Koordinatensystem des Bühnentanzes herauszutreten und seine Elemente nunmehr als Zitat oder Leerstelle aufleuchten zu lassen, macht ihr neues Werk spannend.

Seit Ende der 1990er frei vom festen Repertoirebetrieb, erkunden die beiden als Ensemble Pas à Deux neue tänzerische und choreographische Ausdrucksformen. Mit dem Stück im Kunstforum zu Musik von Philipp Glass und einer Musikcollage aus Klängen und Geräuschen erfüllen sie nun nicht nur einen lange gehegten Wunsch, sondern stellen sich auch erstmals in die Reihe der zeitgenössischen Performer. So beginnt ihr Tanz inmitten des vor dem Museum wartenden Publikums. Mit ein paar Schritten, Blicken und einem charakteristischen, später wieder kehrenden Lift, der an Skulpturen aus dem 16. Jahrhundert erinnert, handeln sie schnell den kunstgeschichtlichen Bezug zum Tanzort ab.

Spielerisch setzen sie gleichzeitig die klassische Rollenverteilung und die damit verbundene alte Geschichte zwischen Mann und Frau, aber auch die zwischen dem Ballettmeister und dem seiner Muse, dem Prinzen und der von ihm zur Apotheose geführten Ballerina in Gang. Das Publikum beziehen sie in ihr flirrendes Rollenspiel mit ein. Als ihm Gößler wie ein klassischer Prinz bedeutet, Frahm in den klassizistisch anmutenden hohen Kuppelsaal zu folgen, agiert es, ohne es selbst kaum zu bemerken, wie ein Corps de ballet, das einer Schwanenkönigin folgt. Der Bruch mit gewohnten Sehweisen wird in den nächsten Sequenzen fortgeführt. Gößler und Frahm platzieren anmutige Variationen aus unzähligen Pirouetten und Lifts in der Raummitte, trennen sich, Frahm entzieht sich und findet oben am Geländer der Galerie zu einem expressiven Solo, das Bewegungen aus dem Modern Dance aufgreift. Der Betrachter sieht auf diese Weise immer nur Ausschnitte des Ganzen, sieht sich mit dem Entzug des Tanzes und der plötzlichen Wiederentdeckung des Tanzes als unmittelbarer Ausdruck von Gefühl konfrontiert, dann etwa, wenn Gößler, allein zurückgelassen, zu einer berührenden Solosequenz am Boden findet.

Der konzeptionelle Höhepunkt findet im großen Ausstellungssaal statt. Zwar darf das Publikum in einem ungeordneten Auditorium mit Blick nach vorne Platz nehmen, doch bekommt es lange nur Versatzstücke einer durchgehenden Choreographie zu sehen. Frahm und Gössler, beobachten sich, stehen weit voneinander entfernt inmitten des Publikums, nähern sich an, lehnen sich kurz aneinander, entfernen sich, nehmen einfache Posen ein. Die zuvor immer wieder getanzten Skulpturen scheinen in Einzelteile zerlegt. Eng nebeneinander stehend, schwanken die Künstler am Ende sanft hin und her. Indem sie den Tanz und die traditionelle Bühnensituation damit für kurze Momente abwesend lassen können, tritt er in der Vorstellungskraft des Betrachters umso stärker hervor. Das Stück müsste hier zu Ende sein, doch wie gesagt, der Ausflug zurück in einen herrlich expressiven, zunehmend ausfransenden Pas de deux sei ihnen gerne verziehen.

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