Als das Tanzen noch geholfen hat

Aus der Schatztruhe des Repertoires: Jaromír Weinbergers „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“

oe
Augsburg, 16/10/2007

Eine Märchenoper in bester böhmisch-musikantischer Smetana- und Dvorák-Tradition: das ist Jaromír Weinbergers „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ aus dem Jahr 1927, in der – nicht jeder Takt, aber doch große Strecken in jedem ihrer beiden Akte und fünf Bilder danach verlangen, getanzt zu werden. Ein augenblicklicher Welthit mit über 4000 Aufführungen in mehr als 20 Sprachen in den tollsten Besetzungen – auch in Berlin, Wien, an der Met und in Covent Garden, doch nach der Flucht des tschechisch-jüdischen Komponisten (1896-1967) vor den Nazis nach Amerika bald in Vergessenheit geraten.

Eine meiner ersten Aufführungen nach dem Krieg habe ich 1950 an der Staatsoper Dresden gesehen – Inszenierung und Choreografie: Bernhard Wosien (geboren 1908 in Ostpreußen, lange Jahre in Dresden engagiert, später auch in Stuttgart – letzte Eintragung in oes Archiv 1965 als Professor an der Universität Marburg). In Leipzig heißt es auf einem undatierten frühen Besetzungszettel: Tanzgestaltung: Max Schulze – und in der „Höllenfuge“ im letzten Bild taucht unter den Tänzern ein gewisser Tom Schilling auf. Und im Programm der Städtischen Oper Berlin (also noch im heutigen Theater des Westens) entdecke ist als Choreografen den verdienten Jens Keith.

Am Theater Augsburg, das jetzt von der bisherigen Stuttgarter Opern-Chefdramaturgin Juliane Vötterle geleitet wird (mit dem Ex-Stuttgarter Robert Conn als Ballettdirektor), hat die neue Intendantin als Eröffnungsproduktion diesen „Svanda Dudák“ herausgebracht, in deutscher Sprache mit Übertiteln – ein gar nicht hoch genug einzuschätzender Verdienst (eine Oper, die man sich schwer in Zeheleins Stuttgarter Repertoire vorstellen kann). Ein Choreograf taucht dort auf dem Besetzungszettel nicht auf – wurde wohl auch nicht für nötig gehalten, denn in der Biografie des international renommierten schottischen Regisseurs Paul Curran heißt es, dass er neben seinem Regiestudium „eine Tanzausbildung in London und Helsinki absolviert hatte“.

Die scheint ihm das Tanzen gründlich verleidet zu haben. Denn in all den Nummern dieser hinreißenden Oper wimmelt es zwar nur so von tschechischen Tänzen wie Polka, Furiant und Odzemek, gibt es eine ausgedehnte höllische Ballettfuge und am Schluss, in einem grandiosen H-Dur Finale, eine massentänzerische Apotheose, doch getanzt werden darf nicht in dieser Inszenierung, offenbar aus lauter Furcht von dem „Folklorekitsch“; dafür gibt es jede Menge umständlicher Pantomimen, Ringelpietzpolonaisen, Studiofilmereien (mit ein paar aufgetakelten Revuedamen) und immer mal wieder ein bisschen Geschunkele und Getrappele, bald nach rechts und dann wieder nach links. Es ist zum Aus-dem-Sessel-Fahren – und ich musste mich immer wieder zusammenreißen, um meine Nachbarn nicht mit meiner Rumzappelei zu belästigen.

Am liebsten hätte ich den Dirigenten ersetzt – nicht, dass der nicht gut und elektrisierend gewesen wäre, der Augsburger Chef, Rudolf Piehlmayer, höchstpersönlich – doch er und sein vorzügliches Philharmonisches Orchester, der Chor und das achtbare Solistenensemble versetzten mir ständig derartige musikalische Hochspannungs-Stromstöße, die mir in den Körper fuhren, dass der sich wie ein Stuntman des Düsseldorfer Energiekonzerns Eon vorkam. Nein, vom herzerwärmenden Märchen um den abenteuerneugierigen Dudelsackpfeifer Schwanda aus Strakonitz, der mit seinem Spiel die Massen zum Tanzen bringt (wie weiland Orpheus mit seinem Singen die Furien der Unterwelt, wie Papageno mit seinem Glockenspiel die wilden Tiere zähmt, Carelis mit seiner Gambe die Bürger von Brügge in einen Tanzrausch versetzt, Strawinskys Soldat mit seinem Geigenspiel die schlafende Prinzessin aufweckt und den Teufel zu einem Veitstanz zwingt und Werner Egks Kaspar mit seiner Zaubergeige dem Schafott entrinnt) – von all diesen Wundertaten, die die Macht der Musik zu verrichten imstande ist, ist in dieser verkrampft modernistisch gestylten – bewegungsmäßig eher dilettantischen – Inszenierung nicht viel übrig geblieben.

Ach, wenn sich doch diese als selbsternannte Choreografen gebärdenden Regisseure, die von einer schrecklichen Furcht vor dem Tanz gebrandmarkt scheinen, von diesen Ballettopern fernhalten würden! Doch die nächsten derartigen Unglücksfälle sind bereits angekündigt: die ostentativ auf jegliche Ballettmitwirkung verzichtenden Inszenierungen von Berlioz‘ „Les Troyens“ und Halévys „La Juive“ in Stuttgart – ausgerechnet in Stuttgart, das über eine der potentesten Ballettkompanien hierzulande verfügt! Es spricht für die Zauberkraft von Weisbergers hinreißender Musik, dass sie mich gleichwohl in Hochstimmung versetzt hat, so, dass ich keineswegs die Strapazen bereut habe, die mir dieser Ausflug nach Augsburg mit der Bahn-Heimkehr um zwei Uhr nachts verursacht hat.

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