Tanztheater à la Bavière

„Lebenslinien“, vier zeitgenössische Choreografien am Gärtnerplatz

oe
München, 21/03/2006

Schon ewig nicht mehr die Gärtnerplatz-Kompanie gesehen, die sich, um sich ostentativ gegen das Bayerische Staatsballett abzugrenzen, balletttheater münchen nennt. Es ist die zehnte Spielzeit unter der Leitung von Philip Taylor – seine vorletzte, denn der Nachfolger von 2007/08 an steht schon in der Tür – es ist Henning Paar aus Braunschweig.

Nach allem, was man so gehört hat, haben die Taylor-Vorstellungen eine sehr geringe Publikums-„Quote“. Nicht so an diesem Abend, einem Dienstag, in der dritten Vorstellung des neuen Programms, das am 3. März Premiere hatte. Das Haus ist quasi ausverkauft – viel betuchte Abonnenten, aber auch ganze Horden von Schulklässlern, die sich kreischend bemerkbar machen, sobald der Vorhang gefallen ist. Das Publikum von morgen? Ich habe da so meine Zweifel. Stammbesucher des Hauses werden‘s gar nicht mehr registrieren. Ich gehöre nicht zu ihnen und stelle bedauernd fest, dass die Bühne für Tanz denkbar ungeeignet ist: wegen der hohen Rampe und dem geringen Gefälle des Bühnenbodens können zumindest die vorderen Reihen die Füße der Tänzer nicht sehen, und wenn sie Bodenarrangements auszuführen haben, verschwinden sie vollends aus der Sicht.

Die Kompanie macht einen durchaus sympathischen Eindruck – aber hingerissen hat mich der „Lebenslinien“ betitelte Abend nicht. Auch nicht Jiří Kyliáns „Overgrown Path“, Jahrgang 1980, sicher das reifste Stück des Abends, ein paar schöne, melancholiegetränkte Janácek-Skizzen, von einer Dame (sicher nicht der im Programmheft genannte Oleg Plashnikov (es sei denn en travestie) sehr subtil dem Flügel entlockt. Von den sechs Tänzerpaaren – jeder ein individueller Typ – mit viel Einfühlung in die wechselnden Stimmungsgehalte getanzt. Aber doch sehr in die Länge gezogen.

Das gilt auch für das Eingangsstück, Taylors „Leaving the Tunnel“ aus dem Jahr 1998 zu Michael Nymans gnadenlos vorantreibender „Musique à Grand Vitesse“, seiner musikalischen Huldigung an den TGV – das französische Gegenstück zu unserem ICE. Ein Stück in Turbo-Geschwindigkeit, in dem die Tänzer zu Elementarteilchen à la Houellebecq reduziert sind, Energiebeschleuniger – sozusagen Foreggers Maschinenballette aus den zwanziger Jahren ins 21. Jahrhundert projiziert. Das ist anfangs ganz faszinierend, läuft sich aber rasch in einer Perpetuum-mobile-Geschäftigkeit tot, so dass man sich wünscht, der TGV würde inzwischen mal durch einen Not-Halt gestoppt.

Den Tänzern allerdings ist keine Müdigkeit anzumerken – sie hätten die Route Paris – Lyon – Marseille wohl gerne noch bis Casablanca fortgesetzt. Sehr lang auch das gewiss abwechslungsreich für Ria Barao Soares und Corneliu Ganea von Taylor choreografierte „Air“ – nein, nicht von Bach, sondern für Cello und Klavier komponiert von Aaron Jay Kernis. Aber auch nicht enden wollend die Uraufführung von „I Am Not“ des 27-jährigen Münchners Mirko Hecktor, in dem sich fünf martialisch hergerichtete Tänzerpaare (Kostüme Marc Watson) gegen die Video-Installationen von Jan Rinkens und Achim John zu behaupten haben. Sie tun das auch wie mit überirdischer Power aufgeladene Cyberspace-Kreaturen, ohne jedoch sonderliche Sympathien für die Nackedeis aus dem Kosmos zu erwecken.

So blieb‘s ein Abend des modernen Tanztheaters, der das heftigst akklamierende Publikum in eine Nacht entließ, in der es sich kaum noch daran erinnerte, was es denn da zu welch einem Zweck gesehen hatte. Und ich habe mich gefragt, wer denn Mirko Hecktor, der so partout nicht er selbst sein will, eigentlich ist. Immerhin kann ich meine Hand ins Feuer legen: er ist ganz und gar nicht ich!

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