Erschwerte Debuts in einem schwierigen Stück

Neumeiers „Kameliendame“ neu besetzt

Hamburg, 18/10/2006

Rollendebuts sind eine Herausforderung für jeden Tänzer und jede Tänzerin. Das ist nichts Neues. Und doch liegt jedes Mal eine ganz eigene Spannung in der Luft, wenn solche Premieren stattfinden – wie am 16. und 17. Oktober in Hamburg. Da gab zuerst Ivan Urban seinen Einstand als Armand in der „Kameliendame“. Thiago Bordin in derselben Rolle musste sein Debut verletzungsbedingt leider verschieben, dafür gab es am 17.10. diverse Neubesetzungen in anderen Rollen. Und die hätten dramatischer kaum ausfallen können. Schon in der Vorstellung mit Ivan Urban (dessen Frau Anna Polikarpova die Titelrolle tanzte) peitschte der Pianist Volker Banfield die Solisten ebenso wie die Kompagnie im Geschwindschritt durch die Vorstellung. Das bekam weder der Interpretation von Ivan Urban gut – sie blieb recht blutleer und blass – noch der gesamten Präsentation des Stücks. Das lebt nämlich gerade von den Pausen, von den Verzögerungen, von einer getragenen, aber keinesfalls zu sehr gedehnten Langsamkeit in den Klavierkonzerten, Etüden, Polonaisen und Balladen von Chopin. Tänzerinnen und Tänzer müssen sich und die Tiefe der wunderbaren Choreografie John Neumeiers entfalten können, der mit diesem Werk ein Juwel ohnegleichen geschaffen hat. Dieses Stück gewinnt gerade durch ein tiefes Durchatmen – hektisches Hecheln tötet seine Seele, und so betätigte sich Volker Banfield an beiden Tagen – zumindest auf weiten Strecken – als veritabler Totengräber, dem nur die phänomenalen Solisten Joelle Boulogne und Alexandre Riabko in der zweiten Vorstellung Einhalt gebieten konnten.

Mag sein, dass Volker Banfield meint, sich selbst durch Geschwindigkeit eine (leider nicht vorhandene) Virtuosität beweisen zu müssen – aber dann sollte er nicht als Pianist in einer Ballettvorstellung auftreten. Wie er durch die Läufe schludert, die Legati versumpft und jedes Atmen erstickt, das lässt nur verständnislos den Kopf schütteln, warum John Neumeier ausgerechnet ihn immer wieder mit der Interpretation dieser Preziosen beauftragt. Es muss doch Pianisten geben, die in diesem Stück nicht ihr Ego bedienen müssen, sondern sich in den Dienst des Tanzes stellen können.

So hatten es sowohl Anna Polikarpova, die die Rolle schon oft getanzt hat, aber immer noch mehr darstellt und spielt als von innen heraus gestaltet, als auch Ivan Urban schwer, dagegen anzutanzen. Dass das dennoch möglich ist, bewiesen Joelle Boulogne und Alexandre Riabko in der zweiten und vorläufig leider letzten Vorstellung – erst im Mai ist die „Kameliendame“ in Hamburg wieder zu sehen. Aber auch da zwang Banfield die Debütanten – Kusha Alexi als Manon, Dario Franconi als Des Grieux, Amilcar Moret Gonzalez als Gaston, Carolina Aguero als Olympia – im ersten Akt im Eiltempo so gnadenlos über die Bühne, dass sie so manches Mal über die eigenen Beine stolperten, denn die Choreografie verlangt den Tänzerinnen und Tänzern enorm viel ab. Wie viel, das wird oft erst klar, wenn die Schritte nicht so souverän gelingen wie gewohnt.

Kusha Alexi, eine ansonsten durchaus lupenreine, stilsichere Ballerina, patzte ohne Ende, und leider stand ihr darin ihr Partner Dario Franconi, der als Des Grieux schlichtweg fehlbesetzt ist, in nichts nach, sodass sie sogar einmal recht unsanft auf dem Allerwertesten landete. Auch das Corps de Ballet ließ sich durch die Nervosität anstecken und servierte die Ensembles nicht in der gewohnten Akuratesse. Erst im Adagio des „violetten“ Pas de Deux, wo das Orchester das Tempo bestimmt und nicht der Pianist, brachte der Dirigent André Presser, einer der souveränsten und erfahrensten Ballett-Dirigenten der Welt, das Geschehen soweit zur Ruhe, dass Joelle Boulogne und Alexandre Riabko in den Hauptrollen ihre enorme Ausdruckskraft und technische Brillanz zu voller Entfaltung bringen konnten. Damit gewann die Vorstellung an Gelassenheit, Tiefe und Kraft, und sowohl der zweite als auch der dritte Akt waren dann Genuss pur. Allerdings sollten Amilcar Moret Gonzales als Gaston und Cathérine Dumont als Prudence ihrer Interpretation noch mehr Frechheit und Erotik verleihen – davon leben diese Rollen, und die beiden könnten durchaus, wenn sie ihren inneren Pferdchen nur mal ordentlich die Sporen geben würden.

Emil Faskhoutidinov gab an diesem 17.10. seinen Einstand als Armands Vater, Monsieur Duval. Warum John Neumeier gerade ihn mit dieser Rolle betraut hat, bleibt jedoch ein Rätsel – ihm fehlt die innere Tragfähigkeit dafür. Es mangelt sowohl an der Härte als auch später am Erbarmen mit Marguerite, und gerade von diesem Kontrast lebt die Rolle. Wer je Eduardo Bertini, Victor Hughes oder Reid Anderson in diesen Rollen gesehen hat, wendet beim Anblick von Emil Faskhoutidinov das Haupt mit Bedauern. Nichtsdestotrotz: Neumeiers „Kameliendame“, das zeigen gerade diese Vorstellungen unter schwierigen Vorzeichen, ist ein Diamant, an dem sich so mancher Solist erst richtig zum Brillanten schleifen lassen kann.

 

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