Ein Ballett der starken Frauen

Wiederaufnahme der „Artus-Sage“ in Hamburg

Hamburg, 08/10/2006

Wenn es ein typisches Beispiel dafür gibt, dass das Ballett eines zeitgenössischen Choreografen stets ein „Work in progress“ ist und nie fertig, dann ist das „Artus-Sage“ von John Neumeier. Dieses Stück, mittlerweile 24 Jahre alt, ändert sich von Wiederaufnahme zu Wiederaufnahme. Im Lauf der Jahre hat Neumeier es ständig verändert – und die jetzt in Hamburg gezeigte Fassung ist von allen bisherigen sicherlich die dichteste. Was früher nahezu ausuferte, unangenehm schwülstig erschien, kommt jetzt entschlackt und verjüngt daher, bereichert durch Neumeiers im Lauf der Jahre gewonnene Erfahrungen. Und der ehemaligen, seinerzeit kaum ersetzbar scheinenden Darsteller-Garde mit Max Midinet als Merlin, François Klaus als Artus, Kevin Haigen als Lancelot, Gamal Gouda als Mordred, Colleen Scott als Ginevra, Lynne Charles als Morgane, Gigi Hyatt als Elaine – um nur die wichtigsten zu nennen, reicht die heutige zumindest in großen Teilen das Wasser (Max Midinet wird wohl durch keinen Tänzer je zu ersetzen sein): Lloyd Riggins als Artus, Ivan Urban als Merlin, Joelle Boulogne als Morgane, Carsten Jung als Lancelot, Heather Jurgensen als Ginevra, Yohan Stegli als Galahad, Silvia Azzoni als Elaine.

So schillernd und magisch wie heute war beispielsweise Morgane bei der Uraufführung 1982 nicht – aus der hingebungsvollen Fee und Geliebten für Artus wurde heute gleichzeitig auch Morgane, die „Triebmutter“, die Hexe, die Merlin, den Magier, becirct und beherrscht. Starke Frauen dominieren heute noch mehr als früher in diesem Stück: Elaine, die Gralsträgerin, die heilige Mutter, die als Ginevra-Double den edlen Ritter Lancelot verführt und mit ihm Galahad zeugt, der den Gral sieht und von Elaine in den Himmel aufgenommen wird. Ginevra, Artus Gattin, die sich unsterblich in Lancelot verliebt und der Neumeier einige Pas de Deux auf den Leib choreografiert, die mal wieder ihresgleichen suchen (und die Heather Jurgensen wunderbar erfüllt).

Eine besondere Überraschung bei der Premiere am 7.10. war der für den erkrankten Alexandre Riabko kurzfristig eingesprungene kubanische Solisten-Neuzugang Amilcar Moret Gonzalez. Wenn er seine Scheu überwindet und ganz aus sich herauskommt, könnte er nicht nur einen noch wesentlich diabolisch-fulminant-sensibleren Mordred in der Artus-Sage abgeben, sondern vor allem endlich wieder ein Kandidat sein für Neumeiers „Othello“, den man in Hamburg seit Jahren schmerzlich vermisst. Die Artus-Sage in der jetzigen Fassung ist keine leichte Kost und stößt nicht auf ungeteilten Beifall. So rümpften einige Premierenbesucher über den vielen Bühnennebel die Nase (Plätze in den ersten Reihen sind deswegen auch nicht anzuraten), auch war mancher, wie den Pausengesprächen zu entnehmen war, nicht entzückt über die unzweifelhaft tiefgründige Deutung der Artus-Sage. Die Antwort einer Mutter auf die Frage der ungefähr achtjährigen Tochter nach der Geschichte des auf der Bühne Gesehenen: „Das ist die Artus-Sage, die kennst Du doch aus den Zeichentrickfilmen“ dürfte das Kind nicht zufriedengestellt haben – denn mit Comics hat Neumeiers Interpretation nun zum Glück wahrlich nichts zu tun. Vielleicht regt sein Kontrastprogramm zu den schnellen Schnitten und der Vereinfachung der Handlung in den Filmen aber nicht nur Kinder zum Nachdenken an. Schon allein dadurch hätte seine Artus-Sage viel erreicht.

 

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